Zwischen gestern und morgen

von 
Essay
zuerst erschienen Mai/Juni 2015 in Form Nr. 259
Fassung der Autorin
Zomet heißt Kreuzung. Und um nichts anderes handelt es sich beim Zomet Institut: um eine Kreuzung. Es ist eine Schnittstelle zwischen gestern und morgen, zwischen Religion und Technik, zwischen Tradition und Moderne.

Das Zomet Institut, das sich auf die Herstellung von Geräten spezialisiert hat, die am Shabbat verwendet werden können, liegt in Alon Shvut, einer Siedlung in den sogenannten besetzten Gebieten. Die besetzten Gebiete, die auch als Westbank bezeichnet werden, sind der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstellt, die Siedlungen selbst allerdings gehören zu Israel. Rein geographisch stellt das Institut eine weitere Form einer Kreuzung dar. Manche behaupten, dass diese Kreuzung den Friedensprozess verhindert, und andere, dass sie die hunderte Jahre alte zionistische Idee verfolgt. Die Wahrheit liegt dabei im Auge des Betrachters.

Der Shabbat, der am Freitag mit Sonnenuntergang beginnt und am Samstag mit Sonnenuntergang endet, ist der jüdische Ruhetag. In diesen vierundzwanzig Stunden muss geruht werden. Kein Essen darf gekocht, kein Licht an- oder ausgeschaltet werden, kein Verkehrsmittel benutzt. Es dürfen keinerlei technische Geräte benutzt werden. Genauer gesagt, darf es zu keiner Unterbrechung eines Stromkreislaufes kommen. Als die religiösen Gesetze entstanden, die zur absoluten Ruhe während dieser vierundzwanzig Stunden aufriefen, gab es keine Stromkreisläufe. Mit der technischen Entwicklung stellten sich an religiöse Rituale neue Fragen und Anforderungen, die es zu lösen galt. 1990 gründete deshalb Rabbi Yisrael Rosen das Zomet Institut, um eine Brücke zwischen Religion und Technik zu schlagen. Ziel war es, den jüdischen Staat auch wirklich zu einem jüdischen Staat zu machen. Die Gesetze der Halacha, auf denen das Judentum fußt, sollten überall angewendet werden können: im Krankenhaus, bei der Polizei, in bürokratischen Einrichtungen. Ein auf der Halacha basierendes Land war sein Traum. Dies hieß, Geräte zu entwickeln, die institutionell gebraucht werden können und trotzdem nicht die Gesetze der Halacha brechen. Denn zwischen Freitag und Samstag dürfte theoretisch kein Telefon abgenommen, kein lebenswichtiges Gerät an- und ausgeschaltet, kein elektrischer Rollstuhl in Gang gesetzt werden, kein Alarm ertönen und wieder schweigen.

Eine radikale Idee

Das klingt selbstverständlich verrückt oder nicht durchführbar oder verquer. Religion ist nicht rational. Wenn man sich ihr nähern will, dann dürfen wir sie nicht mit den Maßstäben einer liberalen Gesellschaft messen. Als ich letzte Woche mit Rabbi Yoni Ben-David telefonierte, der als Ingenieur im Institut arbeitet, wurde ich das erste Mal mit dieser sehr radikalen Form des Judentums konfrontiert. Seit über zwanzig Jahren komme ich nach Israel, um meine Familie und Freunde zu besuchen. Mittlerweile lebe ich in Tel Aviv. Hier wird am Shabbat telefoniert, Auto gefahren und mitunter sogar Schwein gegessen. Die Gesetze der Halacha werden in Israel tagtäglich gebrochen. Den Staat, den sich Rabbi Rosen wünscht, gibt es nicht. Sein Institut stellt trotzdem für einen kleinen Anteil der israelischen Bevölkerung wichtige, ja lebensnotwendige, Produkte her. Dabei variiert der Entstehungsprozess. Manchmal kommen private Kunden auf das Institut zu und bitten um Hilfe, zum Beispiel um ein Gerät in Auftrag zu geben, mit dem sie an Shabbat einen Knopf drücken können, der die Fußgängerampel auf Grün schaltet. Manchmal entwickelt das Institut selbst Produkte, wie eine Lampe, die auf mechanischem Wege heller und dunkler gestellt werden kann, oder ein Telefon, das orthodoxe Ärzte an Shabbat benutzen dürfen.

Der Entwurf, das Design und der Prototyp werden im Institut selbst hergestellt. Handelt es sich um eine kleine Herstellungsmenge, dann werden die Produkte regional produziert, bei größerer Abnahme findet die Produktion in China statt. Wichtig dabei ist, dass während der Herstellung die Gesetze der Halacha eingehalten werden. Dazu gehört zum Beispiel, dass jene Produkte, die vom Institut zukünftig vertrieben werden, nicht an Shabbat hergestellt werden. Auch keine Einzelteile. Diese Regeln gelten selbstverständlich auch für das Institut. Ein Mitarbeiter achtet darauf, dass sie überall beachtet werden. Wenn nötig, wird er nach China eingeflogen, um dem Produktionsprozess beizuwohnen, oder nach Frankreich, um sich zu versichern, dass Schrauben, Muttern oder notwenige Metallteile, die von einer Firma bezogen werden, nicht während des Shabbats produziert wurden. Auch wenn das Institut am liebsten mit lokalen Produzenten zusammenarbeitet, die die Gesetze und die Philosophie des Zomet Instituts verstehen, und die Arbeit dadurch vereinfachen, muss oft genug aufgrund starker preislicher Unterschiede auf Großanbieter zurückgegriffen werden. In diesem Fall ist das Zomet Institut ein ganz normales Unternehmen, das denselben Schwierigkeiten ausgesetzt ist, wie jedes andere Unternehmen auch. Anders als es sich heutzutage für Produkte, Marken und Unternehmen gehört, liegt der Fokus fast ausschließlich auf Funktionalität. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich das Institut quasi in einem konkurrenzlosen Umfeld bewegt und sich deshalb viel weniger über das Design definieren oder sich von anderen unterscheiden muss. Trotzdem werden während des Produktionsprozesses immer wieder Designer zu Rate gezogen. So auch, wie bei der erwähnten Shabbat-Lampe.

Veränderte Bedingungen

Im Zentrum der Arbeit des Instituts steht die Halacha. Das ist die Basis, danach kommt die Idee, das Design, der Prototyp. Es geht darum, benutzerfreundliche Produkte zu entwickeln, die den Ansprüchen und Anforderungen der orthodoxen Gemeinschaft in Israel, aber auch in Amerika gerecht werden. Es geht darum, bei der Herstellung die Gesetze zu beachten und sie mit dem entstandenen Produkt weiterhin zu achten. Das Institut vertreibt seine Geräte über die Website und durch Vertreter, die sich an Geschäfte wenden, die technische Geräte für den Shabbat verkaufen. Während die Zielgruppe in den letzten zwanzig Jahren auf Israel und den USA beschränkt blieb, auch weil sich dort die meisten orthodoxen Gemeinschaften finden lassen, stellt die aktuelle Entwicklung in Europa neue Anforderungen an das Institut. Aufgrund des ansteigenden Antisemitismus unterliegen Synagogen und jüdische Einrichtung neuen Sicherheitsvorkehrungen. Seit gut zwei Jahren steigt die Nachfrage täglich. Ob für Frankreich, Dänemark, Belgien oder Deutschland. Um Anschläge zu verhindern, werden neue Sicherheitssysteme installiert. Diese müssen selbstverständlich auf den Gesetzen der Halacha beruhen. Wie kann eine Alarmanlage an Shabbat nach dem Gottesdienst angestellt werden, ohne das Ruhegebot zu brechen? Eine neue Herausforderung, an der das Institut im Moment arbeitet. Aber das ist nicht alles. Die fünfzehn Minuten von Jerusalem, der Hauptstadt Israels, entfernte Firma, ist gerade mit dem Prototyp eines artifiziellen Daumens beschäftigt, der den Knopf an der Ampel automatisch drücken kann, damit sie auf Grün schaltet. Sie stehen kurz vor der Lösung.