12.2.

Unbändige Lust auf Kartoffelpüree. Zum letzten Mal hatte ich die in Peru und dort in den Anden bei Cusco auf etwas über 5000 Metern.

Der Himmel war von einem Blau, wie ich das bis dahin nur aus dem Fenster einer Concorde gesehen hatte, wahrscheinlich weil dort über den Anden bereits die Stratosphäre durchdrückt. Der felsige Grund war von einer Art von Flechten bedeckt, die winzige butterblumengelbe Blüten austrieb. Ich bückte mich, um eine Probe davon zwischen den Fingerspitzen zu zerreiben. Dies also war das Kraut, von dem sich die Vicunja ausschließlich ernährten, denn ansonsten gedieh dort oben ja nichts. Ob aber die monothematische Ernährung bewirkte, dass diesen bezaubernden Tieren mit den längsten Wimpern des mir bekannten Tierreiches, derentwegen auch mit dem seelenvollsten Blick ausgestattet, das weichste Fell auf unserem Planeten wächst? Immerhin wirkte der Duft, der diesen gelben Mikroblüten entströmte, auf geradezu ungeheuerliche Weise appetitanregend. Und zwar, wie gesagt: konkret auf Kartoffelpüree. Denn er schien gemischt aus den Noten von Honig und Rosmarin, und wie bei Journalisten, die Interviews zwanghaft mit einer Trias anpreisen (»spricht über drei, zwei und seine unbändige Lust auf eins«), so verlangt mein Riechempfinden stets nach einer dritten Note – das geht aber auch ziemlich vielen anderen so, wie es scheint. Denn ansonsten wäre das Parfum Molecule 01 nicht zu einem derart hammermäßigen Megaerfolg geworden. Da Geza Schöns Formel für Molecule 01 bekanntlich aus nur einem einzigen Duftstoff, jenem synthetischen, dabei dem Zedernholz ähnlichen, mit dem geilen Namen Iso E SUPER besteht. Und sein daraus bestehendes Parfum wiederum macht jeden, wirklich jeden, dem es in die Nase steigt, selbst diejenigen, die es selbst tragen übrigens, vollkommen wahnsinnig vor lauter nach triadischer Befriedigung lechzender Schnupperlust. Vom Prinzip her handelt es sich um olfaktorisches MDMA. Vor allem deswegen, da das vergleichsweise große Molekül des Iso E SUPER einem menschlichen Pheromon zum Verwechseln ähnlich konstruiert ist und eine dazugehörige Assoziationskette in der sinnlichen Wahrnehmung genetisch in uns angelegt scheint (grob gesagt, signalisiert dieses Pheromon beim sogenannten Beschnuppern: »Kein direkter Blutsverwandter, Fortpflanzung also nicht nur möglich, sondern erwünscht und zwar: JETZT!!!«). Infolgedessen riecht man also Molecule 01, beziehungsweise Iso E SUPER und ergänzt den Monoriechstoff aufgrund dieser genetisch programmierten Assoziationskette mit den beiden zu einem Dreiklang nötigen Eigendüften von Frau und Mann; oder von Frau und Frau; oder von Mann und Mann; und einer von beiden ist man dann zwangsläufig selbst.

Ähnlich ging es mir in den Anden mit dem Duft der peruanischen Goldknöpfchen, gemischt aus Rosmarin und Honig und der von mir darin vermissten Note Kartoffelpüree. Also zurrte ich meine Botanisiertrommel fest und machte mich auf in die Verpflegungshütte. Die Inka-Nachfahren hatten sich bereits für die anstehende Treibjagd auf die Vikunja verkleidet. Es ist ja ein heiliges Tier und zu seinen Ehren verkleiden sich die Treiber als Götter. Deshalb wird auf die Tiere auch nicht geschossen, sondern sie werden von den Göttern mit lauter Musik aus überdimensionierten Schlagzittern, die auf den Schultern getragen werden, in Reusen aus weichen Zäunen getrieben, wo man sie niederringt, um ihnen eine Schicht des sie wärmenden Fells abzunehmen. Hinterher sehen sie dann leider aus wie mit Manchester Cord überzogen, also eher unschön, aber: was soll’s. Diese Schur kann nur alle anderthalb Jahre durchgeführt werden, andernfalls erfrören die Tiere im beinahe schon kosmischen Klima der Andengipfel. Ein Nachzüchten der Vikunja oder eine Haltung auf Farmen ist nicht möglich. Nur das Wildtier erzeugt die kostbaren Fasern. Eine Strickjacke aus Vikunja kostet dann eben auch 7000 Euro, wohingegen Kaschmir  – aber lassen wir das.

Im Verpflegungszelt gab es kein Kartoffelpüree. Überhaupt keine Kartoffelprodukte. Hier oben wuchs ja wie gesagt nichts, außer den Flechten, die mir die unbändige Lust auf Kartoffelpüree überhaupt erst gemacht hatten. Da alles außer den Flechten unter Strapazen auf den Gipfel getragen werden musste, und ein Sack Kartoffeln wiegt unziemlich viel, ernährte man sich vorwiegend von Fleisch.

Man hatte mir ein Gulasch angeboten. Ich fragte: »Aus was?«, schließlich hatte ich im Tal auch schon gegrillte Meerschweinchen bekommen, wollte aber auf gar keinen Fall etwas vom heiligen Tier.

Der Indio sagte: »Alpaka.«

Als Beilage gab es Popcorn.

Abends, im Basislager, einer extrem hübsch gelegenen Hacienda auf 2800 Metern, in deren Garten das Skelett eines Blauwals herumlag (von wegen der Meeresspiegel steigt und steigt – er sinkt auch wieder alle paar Jahrmillionen), saß ich mit einem britischen Kollegen vor dem Kaminfeuer und wir unterhielten uns über die Scheidung von Madonna und Guy Ritchie, aber das allein aus dem Grund, weil er nebenher als Anwalt arbeitete und Guy Ritchies Seite vertrat. Den Bericht über die Vikunja-Ernte recherchierte er im Auftrag eines Radiosenders, von daher hatten wir beide jetzt keine Lust, über die Brotarbeit zu reden, und er referierte deswegen so ausführlich wie unterhaltsam über die seltsamsten Eigenheiten der Ex-Ehefrau in spe, insbesondere über Madonnas in Körperbutter einbalsamiertes Schlafen in einem Schlafsack aus transparentem Plastik, den ihr Noch-Ehemann Guy Ritchie allabendlich mit einem Reißverschluß zu versiegeln hatte wie einen Body Bag. Einer von insgesamt 58 aktenkundig gewordenen Scheidungsgründen. Allesamt lauteten sie wohl auf seelische Grausamkeit gegenüber Guy Ritchie –, als mir wirklich klar wurde, das mir das Alpaka-Gulasch auf ungute Weise im Magen lag. Möglicherweise lag es auch am zweimal innerhalb eines Tages überwundenen Höhenunterschied. Oder an den Nebenwirkungen der Dynamoxtabletten. Jedenfalls brachen wir auf zur Bar. Wir hatten es ja nicht weit. Von unserem Sofa vor dem Kamin aus brauchte es circa zwanzig Schritte.

Der Keeper dort hatte ausschließlich Pisco im Angebot, den ortsansässigen Schnaps aus Kakteen, der jedoch so ganz anders schmeckte als der Meskal in Mexiko. Sämtliche Sorten wurde in der Kelter der Hacienda hergestellt, deren Mauern vielleicht auch aus diesem Grunde von in Teppichen eingewickelten Hutträgern mit Schrotflinten bewacht wurden. Ein Glasballon enthielt Pisco in den Zitronenscheiben eingelegt waren. In einem anderen befand sich eine rostrote Flüssigkeit. Dann einer mit Klarem.

– Und der hier, fragte mein Bekannter und deutete auf eine giftgrüne Variante des Schnapses.

– Coca Leaf, sagte der Barkeeper.

Ich machte das Victory-Zeichen.

Vor dem Kaminfeuer prosteten wir uns zu und schlürften die Flüssigkeit, die leicht faulig, so wie Darjeeling und Herbstlaub riechen, schmeckte und darunter noch so, wie das Haarwasser meines Großvaters.

– Hmm, machte mein Begleiter.

– Ja, sagte ich. Und wir schauten danach noch sehr lange und schweigend dem Kaminfeuer zu.