14.3.2019

Schon auf der Anreise zeigte sich der Himmel über der Gegend von Nürnberg verändert: maßvoll in gleichmäßige Abstände zueinander gesetzt schwebten die Wolken zu blütenweissen Haufen geballt, wie um dazwischen ebenso große Stellen von Himmelsblau zum Vorschein zu bringen. Bei dieser prachtvollen Aussicht störte es mich nicht, stundenlang in einem angeblich neuartigen ICE ohne Strom, ohne Heizung und demzufolge auch ohne Verpflegung aus der nicht funktionierenden Bordküche durchs Land gefahren zu werden. 

An den Himmelszeichnungen konnte ich ablesen, dass wir die in der Landschaft unauffällige Grenze zum Schwäbischen passieren würden. Dort war das Weiß wie mit der Rückseite eines Löffels in sahnigen Streifen über den Zeltstoff geschmiert. Dabei meldete sich natürlich auch der Hunger, der mir solche Visionen eingab. Bei der Ankunft im Hauptbahnhof widerstand ich dennoch dem nun schon deutlich artikulierten Verlangen nach einer Butterbrezel und zögerte das noch hinaus, weil wir ja bald schon en famille nach Heimsheim fahren würden, um beim Nachtessen im Hirschen den Geburtstag meines Vaters zu feiern. Er geht jetzt ins 77. Jahr.

Dort war zwar vor kurzem die Wirtin verstorben, die ihre Stammgäste ungefragt mit einer Extraschüssel von ihrem Kartoffelsalat zu ehren pflegte, aber der Rostbraten war von unveränderter Qualität, also wie immer. Der Kartoffelsalat ebenso und vor allem auch ihre Sauce. Rezepte werden vererbt und tun über die nackte Anwesenheit ihrer Schöpfer gute Werke.

Wir erzählten die gelungene Integrationsgeschichte der Metzgerswitwe aus Heimerdingen, die nach dem schlagartigen Tod ihres Mannes (Vater ihrer acht Kinder), der damals für Aufsehen in der Gemeinde gesorgt hatte, die verwaiste Metzgerei am Ortseingang an eine indische Großfamilie verpachtet hatte, die darin den ersten Lieferservice in der Umgebung eröffnet hatte. Ist erst ein paar Jahre her. Die Inder firmieren unter dem Namen Pizza Blitz und liefern »Indische, Chinesische, Italienische und Mexikanische Spezialitäten« in sämtliche Dörfer nah und auch ziemlich fern. Das Unternehmen wurde wider Erwarten zu einem großen Erfolg. Vor allem auch nachdem die in einer Wohnung über dem Pizza Blitz lebende Wittwe ihren Pächtern erklärt hatte, dass sie zu jeder Bestellung auch einen kleinen Salat, ein Salätle halt, mitliefern müssten, weil sich das hier so gehört. Im vergangenen Jahr wurde sie, die Metzgerswitwe nun in die Heimat der Pächter eingeladen und reiste daraufhin mit ihrer Tochter aus Heimerdingen ins ländliche Indien, wo die Verwandschaft der Pizza Blitzer unter glühendster Sonne auf Matten in den Innenhöfen niedriger Lehmbauten schlafen. Aber für den Besuch hatte man eigens zwei Betten westlicher Bauweise beschafft. Durch den positiven Verlauf der südindisch-schäbischen Völkerfreundschaft ermutigt, hat die Belegschaft des Pizza Blitz jetzt das dem Heimerdinger Stammhaus gegenübergelegene Reihenhäusle gekauft. Sie haben sich niedergelassen und werden, ich gehe da von persönlichen Erfahrungswerten aus, in etwa dreißig Jahren vollends in der Dorfgesellschaft assimiliert sein. 

Der Luftdruck steht bei 1015 Hektopascal. Abgelesen allerdings an der analogen Wetterstation im Elternhaus. Die App hingegen behauptet ihn bei 950 Hektopascal. Somit erweisen sich auch sämtlich in Berlin festgehaltene Messwerte als Makulatur. Denn zum Vergleich gibt die App die Höhenlage mit 426 Metern über dem Meeresspiegel an. Heimerdingen liegt aber, das ist verbrieft, auf 400 Metern. 26 Meter höher befindet sich bekanntlicherweise die Spitze unseres Kirchturmes. Diese Anregung erhielt ich von meinem Vater, der damit die Meßtechnologie aufgrund von GPS-Daten entzauberte. Wie soll es dass Telephon auch anders fertig bringen? Digital ist nicht immer besser.