15.2.

Das Licht ist grau. In Cagnes war es blau. Das scheint der wesentlichste Unterschied, er ist bekannt. Wenn man dann allerdings, wie ich konkret, von allein darauf kommt; also aus dem Fenster schaut und denkt: »Oh: grau, nicht mehr blau«, wirkt das allem Wissen zum Trotz noch einmal anders. Ich bin um kurz vor fünf aufgewacht, wahrscheinlich ein emotionaler Jetlag. Es gibt ja viele, die behaupten, dass die Seele bei Flugreisen nicht hinterherkommt und man von daher in einem Zombiezustand heimkehrt. Ich weiß, dass das nicht sein kann.

Allerdings kann ich mir aber auch gut vorstellen, wie man auf diese Fantasie kommen kann. Gestern, als ich flog, musste ich andauernd auf das Namensschild einer Stewardess starren, die sich extrem oft mit den Passagieren in der Reihe vor mir beschäftigen musste. Auf diesem Namensschild stand in schwarz auf orange der name BARBORA. Und mir war, als ob dieses O mich verschlucken wollte. Später, nachdem BarbOra den Passagieren vor mir zwei silberne Konservendosen von Jean Paul Gaultier verkauft hatte, kaum sie, freilich noch immer dieses Namensschild tragend, über den Mittelgang direkt auf mich zu, einen orangefarbenen Plastiksack in den Händen, den sie einen gleichformatigen in grün übergestülpt hatte. Den Rand mehrfach nach der Methode Rollkragen umgeschlagen, war so ein orangefarbener O-Schlund eines grünen Gurkenwesens entstanden, den sie – ihre Hände steckten in blauen Plastikhandschuhen aus demselben Material – auffordernd hinhielt.

Mir fiel naturgemäß Bob ein, der mit seinem Bruder Mike über dem Gemischtwarenladen wohnt und dieses Schreckensgedicht rezitiert, in dem es heißt: »Ich fang‘ dich mit der Töte-Tüte/Du glaubst ich bin verrückt«.

Nach der Landung fuhr das Flugzeug scheinbar ziellos durch die DDR.

Man müsste diesen Flughafen unbedingt erhalten. Mittlerweile gibt es wahrscheinlich nirgendwo auf der Welt noch einen Flughafen, der so gestaltet ist wie Schönefeld. Nur hier darf man noch einfach über das Rollfeld nach Hause gehen. Es gibt lange, provisorisch überdachte Gänge mit viel Neon. Ich mag diese subtropisch angehauchte Patio- und Pavillon-Ästhetik. Wobei es vor meinem Abflug in Nizza auch ziemlich subtropisch zuging, als beim Warten auf den Bus zum EasyJet-Terminal plötzlich rot uniformierte Jungs auftauchten, von denen ich einen hundertprozentig als Bademeister von Cagnes-sur-Mer identifizieren konnte. Gut, aber in der Nebensaison arbeitet er wohl als – tja: Das blieb fraglich, jedenfalls wurde ein recht großes Areal zwischen vier Palmen mit Absperrband abgeriegelt, dann fuhr ein Jeep der Streitkräfte vor, dem sechs Soldaten (zwei weiblichen Geschlechts, vier männlichen) entstiegen. Alle mit diesen geilen Kevlarwesten, die hier in Frankreich zusätzlich mit Camouflagestoff überzogen sind, dazu das neueste Sturmgewehr, das diesen Giga-Bügel obendran hat. Die Frauen beide mit etwa dreißig Zentimeter langen Pferdeschwänzen unter dem Baret, das ist hier momentan der dernier cri unter Soldatinnen. Die Bewaffneten stellten sich jetzt an den Eckpunkten des abgesperrten Areals auf, während die Beach Boys der wartenden Menge versicherten, es würde alles in zehn Minuten vorüber sein. Es betrat dann ein schwarz uniformierter ohne Kevlar-Weste, aber mit Oakley-Brille, das Areal, um aus einem dort abgestellten Reisebus einen Koffer zu entnehmen, den vor die Garagentür der in die Rückwand des Areals eingebauten Gendarmerie zu tragen, den Koffer mit einem Werkzeug zu öffnen und sämtlichen  Inhalt erst gegen das Licht zu halten und dann sorgfältig auf dem Asphalt aufzureihen wie eine sogenannte Strecke nach der Hasenjagd. Besonders lange betrachtete und knetete er einen ziemlich großen Bären aus schwarzem Material. Währenddessen löste die attraktivere der beiden Soldatinnen den Diebstahlalarm an dem Militärfahrzeug aus, der – im Krieg geht’s laut zu – seinerseits verdammt laut war. Also in etwa doppelt so laut wie your generic BMW. Das wurde dann recht lustig, weil sie leider nicht wusste, wie man den wieder abstellt, ihre Kollegen aber auch nicht. Ja, es schien so, als ob keiner von ihnen überhaupt gewusst hatte, dass ihr Fahrzeug eine Alarmanlage eingebaut hatte. Ist ja auch eine merkwürdige Idee – wer klaut denn dem Feind das Auto mitten im Gefecht?

Gut, der Rest ist schnell erzählt: Der Schwarzgekleidete mit der Oakley-Brille gab Entwarnung, die Soldaten bestiegen ihren Jeep, die Beach Boys schnitten das Absperrband von den Stämmen der Palmen und halfen dann dem schwarz Uniformierten, den vollkommen ramponierten Koffer mit den Resten des Absperrbandes einigermaßen zu verschnüren, der Bus zum Terminal 2 fuhr vor, ich flog nach Berlin.

Kurz nach der Landung in der nebligen und eiskalten DDR erhielt ich eine Nachricht der Muse. Meine Seele reist halt Überschall.