18.5.

Gleich hinter dem toten Gleis am Bahnhof Zehlendorf stehen die Flieder dicht an dicht. Und in den Lücken dieser naturbelassenen Hecke, die wuchert und blüht wie es ihr gefällt, zeigen sich die Dächer der Gartensiedlung, die reicht anscheinend bis zum Horizont. Die Dächer niedrig, die Hecken hoch. Kaum Fahnenmasten. In anderen Gartensiedlungen, zum Beispiel in Griesheim, gibt es davon mehr. Ich sah dies alles im Vorüberfahren aus meinem Fenster. Die Frau mir gegenüber las in dem Roman One Day. Ich war dann extra aufgestanden, als sich der Zug in die ewig lange, sanfte Kurve vor der Haltestelle Schlachtensee begab auf seiner Bahn.

Der Abendhimmel: blau und hoch, wie senkrecht aufgespannt im eigenen lauen Wind vor einem Licht, das es nur im Sommer gibt. Ein Wisch am Himmel, hell, wie vergessen. Oder wie absichtlich, dann aber ungeschickt plaziert.

Ganz lange fliederfarbene Querstreifen über dem Wald am anderen Ufer. Das Wasser wellte sich seidig, sah aus wie ein Bildschirmschoner. Im Geiste ging ich den langen Weg zurück durch die warme, lebendig gewordene Stadt mit den Menschen und den Bratdüften aus den offenen Fenstern und Türen bis zu dem ersten Bild meines Tages, als ich im Park vor dem von Raupen mit einem Gespinst überzogenen Baumgerippe stehengeblieben war. Sie hatten ihm zunächst sämtliche Blätter abgefressen, im zweiten Schritt (die haben ja viele Beinchen) dann die Äste und den Stamm in ihre Fäden eingesponnen, alles mit jenem Gewebe überzogen, dessen Material sie durch die Vertilgung der Blätter des Baumes gewonnen hatten, um schließlich, im letzten Schritt, dann sich selbst in Kokons verpackt an diesem von ihnen zu diesem Zweck vorbereiteten Wirtsbaum aufzuhängen. Als ich davor stand, hingen sie schon alle dran wie an einer Art Kettenkarrusell. Es war früh am Morgen und recht warm. Wenn alles gut ging, wie von den Schmetterlingen vorgesehen, würden sie in wenigen Wochen aus den Kokons schlüpfen können. 

An die Gründer, die Raupen, an den Baum würde sich niemand erinnern. Schwundstufen der Schmetterlingsgesellschaft. 

First walk, then fly.