6.4.2019

Am Donnerstagabend stellte Jan im Nebenraum des Grill Royal seine 360°-Verfilmung eines Teils der Oper Figaro vor. Um sich das anschauen zu können, mußten die Teilnehmer eine VR-Brille aufsetzen und ein paar Kopfhörer. Man erlebt das also zwar gemeinsam an einem Ort, aber jeder für sich. Vergleichbar mit dem Konzept der Silent Disco. Diese Brillen sind von der Form her wie Taucherbrillen, durch deren Glas man ja auch eine Art für den Menschen virtuell bleibender Wirklichkeit betrachten kann, die der Meeresbewohner.

Emanuele Coccia schreibt: »Die Welt als Eintauchen zu betrachten, wirkt wie ein surreales kosmologisches Modell, und doch machen wir diese Erfahrung häufiger, als man meinen möchte. So erfahren wir die Welt des Fischs zum Beispiel jedes Mal, wenn wir Musik hören. Wenn wir das Universum, das uns umgibt, nicht ausgehend von dem Stück Wirklichkeit konstruieren, zu dem der Sehsinn uns Zugang gibt, sondern die Struktur der Welt von unserer musikalischen Erfahrung ableiten, dann müssten wir die Welt als etwas beschreiben, das nicht aus Objekten besteht, sondern aus Strömungen, die uns durchdringen und die wir durchdringen, aus Wellen unterschiedlicher Intensität und in ständiger Bewegung. Stellen Sie sich vor, Sie sind aus derselben Substanz gemacht wie die Welt, die Sie umgibt.«

Und so, auf eine anfänglich mich beängstigende Weise habe ich das Geschehen durch die VR-Brille erlebt. Ich fand mich aufgelöst in dem, was vor meinen Augen hinter der Brille geschah. Ich konnte beispielsweise nach unten schauen, da ging es tiefer zu Boden, als ich es fühlte (ich saß dabei.) Man kann, während die Darsteller sich vor einem bewegen, den Kopf umherwenden und schaut dann in eine unbespielte Ecke des Raumes, so als bewegte man sich frei in dem aufgezeichneten Raum. So ein Film wird wohl von einer Kugelkopfapparatur aufgenommen, die an einer Stange mitten in dem Bühnenbild befestigt steht. Der Kugelkopf enthält viele einzelne Kameras, die, ungefähr nach dem Prinzip des Facettenauges einer Libelle, lauter Teilausschnitte des räumlichen Geschehens aufzeichnen. In einem Computter wird dann aus den einzelnen Filmen die 360°-Illusion zusammengerechnet (der Vorgang nennt sich Stitching.)

Ich weiß nicht, ob ich die Erfahrung noch einmal machen will. Stellte mir vor, Gaspar Noé hätte seinen Enter The Void in dieser Technik verfilmt. Da würden einige Zuschauer sterben. Die ersten zwanzig Minuten wären dazu völlig ausreichend.

Ich wachte am Morgen jedenfalls auf und fühlte mich wie seekrank. Fuhr dann aber trotzdem mit dem Fotographen bis an die Stadtgrenze hinaus, um mit Heinz Bude zu sprechen. Dort gab es den größten jüdischen Friedhof Europas, wie er uns erzählte. Und durch das sprechen mit ihm, auch wie wir uns entsprachen wurde ich wieder an den Strand der Wirklichkeit geholt. Auch weil der Fotograph mich noch mitnahm in einen Baumarkt, weil er sich, plötzlich ganz dringend, eine Schlagbohrmaschine kaufen wollte. Am Stand mit »Neuester Technik« gab es ein Alexa-förmiges Türmle aus schwarzem Plastik, das nach dem Einschalten vibratorenhaft surrte und zwei Lappen aus Zellophan durch die Luft wirbeln ließ. Das war ein elektrischer Fliegenverscheucher. Auf dem Werbeschild stand »Sie können jetzt abends mit ruhigen Händen draußen essen. Der Fliegenverscheucher hält ihnen die Insekten vom Leib.«