6.9.

Am Ende der Bahnstrecke stieg ich aus auf einen unüberdachten Bahnsteig inmitten der Ortschaft, umgeben von Baustellen. Hier wurde heftigst gebaut. Wie der Taxifahrer mir später erklären würde, handelte es sich bei seinem Heimatort um die am schnellsten wachsende Kleinstadt in Brandenburg. Einst überwiegend von Villen bestanden, die für die Ingenieure der Siemenswerke in Spandau errichtet worden waren, hat sich die Einwohnerzahl nun in wenigen Jahren verdoppelt. Und es ist, davon zeugen reihenweise Rohbauten im Betongussverfahren mit ihren in gelb daraus aufragenden Kränen, kein Ende abzusehen. Die AfD hat üppig plakatiert. Das Ortsbüro der Partei residiert auf der Hauptstraße in einem ehemaligen Ladengeschäft. Erst sehr viel später würde ich am Ortsausgang noch ein Plakat der CDU zu sehen bekommen. Ansonsten ist es hier vor allem unheimlich flach und weit, das betrifft auch den Himmel.

Die Hauptstraße zog sich ziemlich in die Länge, dabei wurde sie schmaler und mündete schließlich, nach einer Kreuzung zur Straße der Einheit, in eine mit einhundert Jahre alten Bäumen bestandene Allee. Vor dem Haus, in dem sich angeblich die Firmenzentrale von Rammstein befinden sollte, gab es hinter einem schwarz lackierten Zaun einen düsteren Garten. Ansonsten deutete nichts weiter darauf hin, dass hier Geschäfte mit Musik gemacht wurden. Es war also passiert, ich habe im letzten Jahr schon einmal darüber geschrieben, was in Berlin ab und an vorkommen kann - manche Straßennamen existieren zweifach, aber Google führt davon nur eine im System, weil seit der letzten Erfassung die eine von beiden entweder verlängert oder verkürzt, umgeleitet oder gleich überhaupt noch nie erfasst worden war. Man verlässt sich ja nicht allein auf ein Telefon, das aus Glas besteht, sondern auch auf die Autorität eines Navigationssystems für dessen Angaben keinerlei Gewährleistungspflicht besteht.

Mit einem Anruf - exotischerweise - lies sich meine Irrfahrt schnell aufklären. Auch die Schuldzuweisung erfolgte einstimmig, bloß half das nichts zu der Tatsache, dass ich mich wenige Minuten vor dem vereinbahrten Gesprächstermin etwa eine Stunde Autofahrt vom entgegengesetzten Ende der Stadt, dort im Norden befand. Wobei die freundliche Managerin der Rammstein GbR zugab, dass es durchaus wahrscheinlich sein könnte, dass sich die Firmenzentrale in einem unverputzten Einfamilienhaus in Brandenburg befindet. So kam ich zumindest zu einer Spazierfahrt durch die Landschaft um Spandau, sowie durch Spandau selbst, wo dann bald wieder die Plakate sämtlicher Parteien aufgestellt waren, auch die von der FDP mit den stimmungsvollen Schwarzweißaufnahmen Christian Lindners, die beim Hausfotograf Rammsteins, Olaf Heine, in Auftrag gegeben worden waren.

Das Gespräch mit Flake fand dann in einer Fabrikhalle statt, die Hochregale mit dem Merchandising reichten bis an den Horizont. Wir saßen dort auf schwarzen Ledersesseln und tranken Cola Zero, später dann auch Cola Light. Ich kann mich nicht erinnern, jemals mit einem derart sanftmütigen, empfindsamen und, ja: zartfühlenden Mann gesprochen zu haben, dessen Kunst ja für das komplette Gegenteil steht. Wie einfach es scheint, die Wahrheit sagen zu können, wenn man sich seiner Mittel bewusst ist.