FIZHEUER ZIEHEUER

Für die aktuelle Ausgabe der Metamorphosen hatte ich über meinen einzig guten Lehrer in 13 Jahren geschrieben. Als das Heft aus der Druckerei kam, war der Umschlag gelb. Jörg Rager, so hieß der Lehrer (Deutsch und Geschichte) hatte uns am Beispiele vom Tod in Venedig die Verwendung einer sogenannten Symbolfarbe in einem literarischen Werk analysiert. Dort färbt sich ja, anfänglich mit den Zahnreihen des Mahnenden in München, die Welt zunehmend gelblich ein: Strandfarbe, Plakatfarbe und immer so fort. Für Rager war das ein Zeichen für die Hinfälligkeit des Beschriebenen; wohl auch, weil dort im Venedig der Erzählzeit die Cholera umging.

Dann passierte das mit meinem Vater. Ich empfinde es noch immer als Wunder, dass, oder wie er das alles überstanden hat. Mittlerweile darf man ja sogar auf der Intensivstation telefonieren. Und manchmal plaudern wir somit am Nachmittag.

Nachts schaute ich mir die Premiere des Lohengrin an auf 3Sat, weil ich auf die Ausstattung von Neo Rauch gespannt war. Alles in Blautönen, der Hauptmann lagerte vorhersehbarerweise auf einem M.C.-Escher-haften Dreigestirn aus keramischen Isolatoren, die ich als Kind so ansprechend, wie zum Ablecken schön gefunden hatte. An seinem Kostüm waren hinten dran lange Insektenflügel befestigt wie bei Flip, dem geigenden Grashüpfer in den Zeichentrickfilmen der Biene Maja, der alten Nazi-Schickse.

Donnerstags fuhr ich abends extra ins Westend hinaus, um mir von den Pichelsberger Höhen die Mondfinsternis anschauen zu können. Aber ausgerechnet an dem Abend war es am Himmel bedeckt. Das nächste Mal soll sich das in dieser Form wieder in einhundertzwanzig Jahren ereignen. Vermutlich bin ich dann aber schon tot.

Am Sonntagmorgen ging ich in den Wald. Dort hatten, am kleinen Strand in der Bucht, die Raver einen veritablen Sauhaufen hinterlassen, von dem ich mich angeekelt abwenden musste. Und ich ging, von dort aus, quer durch das Unterholz an einem sich nackt auf einem Plastikstuhle sonnenden Greis zurück. Bei einem Stapel gefällten Pioniergehölz entdeckte ich auf dem Waldboden liegend ein Etwas, das mir wie ein kostbar von Händen gefertigter Lampion schien. Aus geschöpftem Papier, meliert in Grau.

Ein Wespennest, dachte ich. Das wäre so schön dort bei mir auf der Treppe. Aber gerade als ich mit beiden Händen zugriff, vernahm ich aus dem Inneren des Papierballons ein Krispeln. Ließ das Gebilde rasch fallen, doch es war zu spät. Auch dass ich rannte, konnte mich nicht vor dem Zugriff der Soldaten retten. Einige bissen sich in meinem Wadenfleisch fest.

Erstaunlicherweise verspürte ich kaum Schmerzen. Doch ist das Gewebe dort unter meiner Haut seit heute fleckenweise in dunklem Violett eingefärbt (und wenn ich in die Knie gehen will, spüre ich das Hinderliche der Schwellung wie Holz.) Möglicherweise bin ich, da ich am vorvergangenen Wochenende im Garten meiner Eltern barfüßig in eine Biene getreten war, immunisiert gegen das Insektengift.

Die Geranien setzen sehr schön zu einer zweiten Blüte an.