11.12.

Die Meninghitis an der Kumasi Academy war die Schweinegrippe und ist angeblich unter Kontrolle. Ich beschließe, in die Stadt zu fahren, wo seit Tagen die Beerdigungsrituale für die verstorbene Queen Mother der Ashanti andauern. Nana Afia Kobi Serwaa Ampem II war seit 1977 Asantehemaa, also als Mitglied der Ashanti-Königsfamilie eine enge politische Beraterin des jeweils amtierenden Königs. Letztes Jahr im November verstarb sie 111-jährig (ihr Alter schwankt in jedem Zeitungsartikel, den ich dazu lese, aber sie war ururalt – fast zweimal die ghanaische Lebenserwartung) Nach einem Jahr finden nun die Festivitäten statt. Gestern wurde ihre Nachfolgerin installiert, es herrschte in der gesamten Stadt Ausgehverbot, alle zwei Millionen Einwohner Kumasis waren angehalten, von  21 bis 2 Uhr nachts ihre Häuser nicht zu verlassen, alle Geschäfte hatten geschlossen. Schwer vorstellbar, wo doch fast das gesamte Leben auf der Straße stattfindet, aber war wohl so.

Die Reise von 270 Kilometern wird sechseinhalb Stunden dauern, zwei brauche ich allein für die ersten drei Kilometer zum Bahnhof. Es ist Sonntag und alle in der Kirche, es dauert dementsprechend lange, bis die Fahrzeuge voll sind. Ehe der Reisebus losfährt, ist es kurz vor 9 Uhr.

Am Ortseingang nach Kumasi haben sie eine der riesigen Werbetafeln durch ein Bild der verstorbenen Queen Mother ersetzt: 1905 - 1916. You will be forever missed. Endlich angekommen, springe ich in ein Taxi und lasse mich zum Manhyia-Palast bringen. Auf den Freiflächen davor sitzen unter Sonnendächern schon Hunderte Menschen in schwarz-weiße Stoffe gehüllt, essen, trinken und warten. Ich frage einen der Herumstehenden nach Kaffee, er läuft geduldig mit mir übers Gelände, aber sowas gibt es hier heute nicht. Wie sich herausstellt, ist Adjei Mitglied der Palast-Musiktruppe, er nimmt mich mit in den Innenhof, vorbei an mit Maschinengewehren bewaffneten Uniformierten. Was ich immer für ein Glück habe. Adjei stellt mich der Band vor: vier Sängerinnen, zwei Trommler, Adjei und ein zweiter spielen jeweils ein metallenes Instrument, das Ähnlichkeit mit einem Croissant hat und mit einer Art Schraubenzieher geschlagen wird. Er erklärt mir, dass sie immer vor Ort sein müssen, wenn der Ashanti-König im Palast ist. Seit zehn Tagen sagten sie alles andere ab und seien hier. Gerade sei der König mit seiner Entourage in der Kirche, seine Ankunft wird in den nächsten Stunden erwartet.

Ich schaue einer anderen Band beim Spielen zu. Vor ihren Trommeln tanzt ein Mädchen, vielleicht fünf Jahre alt: Sie trägt eine breite silberne Kette um den kleinen Kopf, ein zum Kleid gewickelten Stoff, bunte Ketten an Armen und Beinen. Sie tanzt barfuß mit kleinen Schritten kreiselnd in der Runde herum, bewegt den oberen Teil ihres Körpers unabhängig vom unteren und die Arme noch mal anders, es wirkt zugleich selbstvergessen und absolut kontrolliert, ihr Blick ist stolz, fast ein wenig verächtlich. Adjei sagt anerkennend: »Sie ist sehr gut«, ich antworte: »Sie ist unglaublich«. Ich habe so was noch nie gesehen, es ist endlos faszinierend und auch ein wenig beängstigend, ein wenig wie die geisterhaft synchron tanzenden Kinder in Pjöngjang, bei deren Anblick man gleichzeitig lachen und weinen will, weil es so unwirklich aussieht und weil man den Drill dahinter ahnt. Nur ist das hier viel schöner. Die Leute geben ihr Geld, indem sie ihr Scheine an die Stirn halten. Wer nichts zahlen kann, hält Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand über ihren Kopf, das zählt auch als Anerkennung.

Der Hof füllt sich derweil mit Gästen, die an Tischen unter weißen Sonnendächern Platz nehmen. Die Feier ist öffentlich, der Dresscode, das war zuvor auf der königlichen Website zu lesen gewesen, lautet: schwarz-weißer Adinkra. Es wurde extra ein Stoff mit dem Bild und den Lebensdaten der Queen Mother gedruckt, den man auch vor Ort kaufen kann. Die Frauen tragen eng anliegende Kleider und Kopfputz, bedruckt mit den Akan-Symbolen für Glauben, Wahrheit und das Königshaus, die Männer Togen aus denselben langen Stoffbahnen, die ihnen von der Schulter rutschen, was später das Tanzen erschweren wird. Eine Gruppe von Männern hat Schwerter bei sich und kleine Kappen in Leopardenmuster auf dem Kopf, ihren Stoff tragen sie als eine Art Wickelkleid unter der Brust. Auf den ersten Blick sehen gleich aus, auf den zweiten alle verschieden voneinander. Viele Chanel-Sonnenbrillen, Moschino-Taschen, dicke goldene Uhren, sehr hohe Stilettos, aufwendige Frisuren, Make-up, großes Hallo, ein einziges Fest. Wen auch immer ich frage, ob ich sie oder ihn fotografieren darf, wirft sich bereitwillig in Pose. Ein Ashanti-Sprichwort besagt, dass man alles dafür tun sollte, Reichtum zu erlangen - selbst seine Oma kann man verkaufen. Ist man erfolgreich, kann man sie später immer wieder zurückerwerben.

Die wichtigen Leute laufen ein, erkennbar an Alter, Körperumfang und daran, dass sie unter seidenen Sonnenschirmen laufen, die jemand anders für sie hält. Dann rollt die Entourage des Königs heran. Zuerst Motorräder mit Blaulicht, die Fahrer machen mehrmals die Runde durch den Hof und vollführen dabei Stunts: stehen auf den Sitzen, fahren Schlängellinien, heben beide Hände in die Luft. Die Leute stehen Spalier und lachen sich kaputt. Dann kommen mehrere Range Rover mit verspiegelten Scheiben, das Volk winkt, dann geht die Party weiter. Offene Bar, offenes Buffet, an Alkohol nur der ganz harte Stoff: Adonko Bitters – sehr beliebt mit 42 Prozent; Schnapps, Whiskey aus Viereinhalb-Liter-Flaschen. Zum Essen Reis, Hühnchen, Fisch. Die Leute stehen geduldig an, tanzend, nur hier und da kommt es zu kleinen Drängeleien, die einer derer mit Schwert schlichtet.

Der Platz, auf dem Adjeis Band spielt, wird zur Tanzfläche: Den Anfang machen ältere Frauen, nach und nach kommen immer mehr Leute dazu. Das Zentrum des Geschehens ist eine beleibte Dame, vielleicht 60, die irgendwann einen Stapel Ein-Dollar-Noten auf die Band regnen lässt, als sei das hier ein Stripclub. Ein junger Typ in seinen Zwanzigern tanzt sie an und zusammen vollführen sie eine lustig grimassierende Choreografie, die um sie herum heben ihre Zeige- und Mittelfinger.

Ich stehe neben dem Boxenturm, schon halb taub, tanze ein bisschen, bekomme ein paar Zeige- und Mittelfinger, und als es dunkel geworden ist und der Whiskey längst alle, verabschiede ich mich und fahre in mein Hotel mit dem sleazy Namen Daddy’s Lodge, das ansonsten aber ganz okay ist. Mir klingeln die Ohren.