14.11.

Die Messe (meine erste) und das Mossi-König-Ritual (auch mein erstes), für die ich mich ja von unserem kleinen Zauberberg hier in die große Stadt bewegt hatte, waren dann gleichermaßen interessant. 

In der Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis, ein neo-romanischer Lehmziegelbau mit zwei wie abgebrochen wirkenden Türmen, herrscht geordnetes Chaos: Staub an den unebenen weißen Wänden, an den Säulen nachträglich angebrachte Ventilatoren, herumstehende Stühle, die wichtigen mit Plastikhauben geschützt. Die Holzbänke sind um Punkt 5.45 Uhr vollbesetzt,: ein paar hundert vor allem ältere Frauen und Männer, ein paar unbeaufsichtigte stille Teenager auch, ein Dutzend Nonnen, ganz in weiß und mit Kreuzketten um die Hälse. Bevor sie sich hinsetzen, wischen sie mit kleinen Lappen den Staub von den schmalen Bänken. 

Ich nehme eine der Sitzgelegenheiten im Seitenschiff, um mich herum Betende, die nur kurz aufschauen, als ich mich setze. Ein älterer kleiner Mann mit kurzen grauen Haaren kommt herein, er trägt ein buntes Hemd, das die Stallszene zeigt. Maria, Josef und der Babyjesus sind weiß, ich finde das nach wie vor sehr irritierend, darüber steht in gut gelaunter Schrift: Joyeux Noël. Ein Weihnachtshemd. Stimmt, ist ja bald soweit. Der Mann setzt sich neben mich, dreht sich zu seinem Nachbarn und schüttelt ihm die Hand, dann zu mir. Er hält meine Hand und sagt leise etwas, ich antworte versuchsweise mit »Bonjour«. Noch nie im Leben habe ich so vielen Menschen in so kurzer Zeit die Hand geschüttelt wie hier. Im Operndorf, auf dem Markt, unterwegs auf dem Land, bei den Frauen, die das Hirse-Bier brauen und verkaufen. Händeschütteln ist sehr wichtig, es ist der erste Kontakt, den man miteinander hat. Ich wurde auch noch nie so oft zum Essen eingeladen, wenn auch nur als Geste: »You are invited«, sagen die Ghanaer, »Tu es invité«, sagen die Burnikaben, wenn man sie beim Essen antrifft, und wenn es sich nur um einen Teller des süßen, flüssigen Porrigdes mit Chili und Erdnüssen handelt, das man hier zu Frühstück isst. Nie habe ich öfter gehört: »Bonne arrivée!« - Willkommen.

Von der Predigt, den Gebeten und Gesängen in der Kathedrale verstehe ich so gut wie nichts, außer ein paar Stichworten. Einmal wird gelacht, der Pastor hat wohl etwas Lustiges gesagt. Das Vaterunser erkenne ich viel eher am Takt denn am Text. Afrikanisches Französisch hört sich ja ganz anders an als französisches Französisch, wie könnte es nicht. Innerlich lege ich schon seit Tagen ein kleines Aussprachewörterbuch an:

demain - demä

aujourd’hui - ausourd’hui

ici - ichi

tension - tenchion

Als die Messe nach fast einer Stunde aus ist (auf die Hostie habe ich verzichtet) und sich die Leute nach viel fröhlicher Händeschüttelei in Richtung ihres Tagwerks zerstreut haben, führe ich einen blinden Mann über die Straße – kein Witz (also vielleicht einer von einem der Götter, die sie hier anbeten), der Mann stand da vor der Kathedrale mit seinem abgebrochenen Besenstiel und wirkte, als könne er Hilfe brauchen, was sich dann als richtig herausstellte – und mache mich auf den Weg zum Königspalast. Es handelt sich um ein inmitten des umwerfenden Stadtbildes Ouagadougous (kann übrigens bitte mal eine Fachperson einen Architekturführer erstellen oder noch besser einen Pracht-Fotoband? Ich würde es ja tun, aus reinem Eigeninteresse, aber ich verstehe leider so wenig von Baustilen und -techniken) kaum auffälliges Lehmgebäude mit einem Zaun drumherum, nur die »Fotografieren verboten«-Schilder weisen es als etwas Wichtiges und Heiliges aus. Ich frage zwei Männer, die im Schatten einer Wüstendattel sitzen, wo die Zeremonie stattfinde. Sie weisen hinter sich, und sagen, ich sei zu früh. Der Häuptling habe das Ganze von 7 auf 8 Uhr verlegt.

Gut, dann gehe ich kurz zurück ins Hotel, zum Frühstücken. Als ich wieder herauskomme, wartet vor dem Tor schon der liebe Oumar und sagt, er gehe da auch immer gern hin und könne mich gleich auf seinem Moped mitnehmen. Was sich schon wieder als Glücksfall erweist, weil er mir übersetzt, was da auf dem Platz hinter dem Palast vor sich geht. Mehrere Reihen von stehenden und sitzenden Menschen sind schon da, manche in traditionellen Kleidern, manche mit Bürokostüm und Handtasche, ich ärgere mich ein weiteres Mal, dass ich meinen Feldstecher zu Hause gelassen habe. »Da im Schatten der Mauer sitzt der König, der in Rot mit dem Stab, siehst du ihn. Die Reiter bringen das Pferd und da unter dem Dach steht der Trommler und trommelt. Die zwölf, die da in einer langen Reihe vor ihm im Staub sitzen, sind die Minister, die Häuptlinge aus den umliegenden Dörfern.« - »Was machen die für Bewegungen? Es sieht aus, als würden sie mit angewinkelten Armen und zu Schaufeln gemachten Händen unsichtbares Wasser hinter sich werfen.« - »Sie bitten um Vergebung.« Gerade als ich mir das aufschreibe und fragen will, was sie denn getan haben, knallt eine Kanone, ich lasse vor Schreck fast meinen Stift fallen.

Der Häuptling ist im Rauch verschwunden, das Pferd wird weggeführt, es ist wie bei einer Zaubershow. Dann taucht der König wieder auf, ich erkenne ihn nur nicht sofort, weil er sich umgezogen hat. Statt Rot trägt er jetzt etwas blau-weiß Gestreiftes. Es passiert noch etwas, das mir aber entgeht, weil ich damit beschäftigt bin, die Häuptlinge endgültig zu denen mit den allerbesten Outfits zu erklären. Sie tragen ziemlich viel: Jeweils ein langärmliges hochgeschlossenes, knielanges Hemd in verschiedenen Streifenmustern, eine dazu passende lange Pluderhose, darüber eine Art wadenlangen Poncho aus einem großen rechteckigen Stück Webstoff, das nur am unteren Fünftel zusammengenäht ist. Jeder von ihnen hat einen Holzstab in der Hand, eine Art Zepter. Auf dem Kopf tragen sie eine Kappe in leuchtendem Orange, Grün und Gelb, wie ich sie auf dem großen Markt gesehen habe. Als die Zeremonie vorbei ist, steigen manche von ihnen mitsamt ihrer Entourage in ihre dicken Autos, der Großteil des Publikums aber geht weiter in den Palast hinein. Wir dürfen nicht, sagt Oumar, wir haben keine Audienz. Aber wenn ich möchte, bittet er für mich um eine. Zum Abschied legen wir wieder vier Mal die Schläfen aneinander. Wie ich mittlerweile gelernt habe, ist diese Geste nichts Traditionelles, sondern eine Abwandlung der französischen Küsschen-Begrüßung.

Für F.