16.11.

Es ist Issas letzter Abend, bevor er zurück nach Hause fliegt. Den Abschied feiern wir leider nicht vor der Kneipe mit dem schönen Namen Bar contact aux amis, sondern vor der anderen, die keinen Namen hat, nur eine große Bierwerbung an der Ecke. Sie liegt an einer Kreuzung, wird flankiert von mehreren Grills, auf denen kleine Fleischspieße garen. Ganzen Fisch gibt es auch, aber wie Jeannette immer zitiert: »Die Kühlkette, die Kühlkette!«. Burkina hat bekanntlich kein Meer, nur einen von Seerosen befallenen See inmitten Ouagadougous, aus dem sie Fisch ziehen. Und Bilharziose, im Zweifel. 

Wir bestellen Dutzende Lammfleischspießchen, dazu gibt es Baguette. Die Bar hat nur Bier und Limo, aber man kann auch nur Gläser mit Eiswürfeln bestellen und sich eigene Getränke mitbringen. Der Weinladen schräg gegenüber führt eine kleine Auswahl, wie üblich und mir unbegreiflich alle rot, aber es ist auch ein halbtrockener Rosé dabei. Unter normalen Umständen nicht genießbar, aber hier schmeckt er irgendwie. Im Regal stehen auch drei Flaschen Moët & Chandon, gar nicht mal so teuer. Also für unsere Verhältnisse. 

Issa hat sich schick gemacht und seinen weißen, am Kragen bestickten Kaftan angezogen, darunter die passende Hose. I am a sucker for Männer in nachthemdenähnlichen Gewändern, es ist einfach so. Wir entscheiden uns für einen Tisch und drei Plastikstühle am Rand der nach allen Seiten offenen Bar, Blick Richtung Straße. Es läuft erst dieser alte Riesenhit von Akon, Issa und ich fiepen mit und wiegen unsere Oberkörper hin und her: »I am lonely/So lonely«, dann kommt fiebrige polyrhythmische Trommelmusik, aber auf der weiß gekachelten, leicht erhöhten Tanzfläche ist leider trotzdem nichts los. Alle Gäste – Frauengruppen, Männergruppen, gemischte Gruppen, Familien mit müden Kindern – sitzen und saugen an ihren Getränken, essen. Die Hijabs und Burkas, die das Straßenbild tagsüber bestimmen, sind Push-ups und Minikleidern gewichen. Die gut gelaunte Kellnerin mit den kurzen Haaren tanzt mit angewinkelten Armen und geballten Fäusten wie eine Dampflok durch die Reihen und nimmt Bestellungen auf, zwischendurch setzt sie sich immer wieder an verschiedene Tische und quackelt mit Gästen. Eine Papaya-Verkäuferin kommt vorbei, sie beleuchtet die Ware auf dem Tablett mit der Taschenlampe in ihrem Telefon, wir kaufen eine Frucht als Dessert. Ein super Ort ist das hier. 

Wir sprechen über Träume. Ich erzähle von dem einzigen aus meiner Kindheit, an den ich mich noch erinnere: Ich schaute aus meinem Zimmerfenster auf den Hof hinaus und im Gebüsch stand ein riesiger weißer Bär aus Plüsch (das war noch, bevor wir in Disneyland waren) mit einer Steckdosennase und winkte weder freundlich noch bedrohlich. Janne schrieb neulich, sie hätte geträumt, dass der kleine Vampir seine ersten Worte gesagt hätte: den vollen Namen von F. Meine zwei wichtigsten Menschen, durch die Worte eines Babys vereint in einem Traum, der nicht meiner ist: Wo ist die Deutungshotline, die ich anrufen kann und die mir das mal bitte aufschlüsselt. 

Issa sagt, er träume hier so gut wie nichts. Jeannette versucht den Kinder ihrer Theaterklasse deren Träume zu entlocken, aber nur ein Mädchen versteht, was Jeannette meint, wenn sie nach den Bildern fragt, die die Kleinen nachts sehen. Das Mädchen, Nafissa, träumt von einem Geburtstagskuchen. Edwige, die Katholikin, sagte eines Abends, als sie sich nach dem Schultag auf dem Weg nach Hause machte und wir ihr schöne Träume wünschten: »Ich bin Burkinabin, wir träumen nicht«, und wir rätselten noch etwas, wie genau sie das meinte.