16.12.

Großthema Körperlichkeit: 

Es fängt damit an, dass ein Kind die ersten paar Jahre seines Lebens, mindestens bis es laufen kann, aber auch darüber hinaus, von seiner Mutter oder ersatzweise einer älteren Schwester, einer Tante oder Großmutter in einer Bahn Stoff auf dem Rücken umhergetragen wird. Ich habe bislang genau einen Kinderwagen gesehen und das war, wie Hunde an der Leine, ein sehr außergewöhnlicher, fast absurder Anblick. Die Frau knickt mit durchgestreckten Knien so in der Hüfte nach vorn, dass der Oberkörper senkrecht zum Boden ist, in derselben Bewegung wird das Kind an einem Arm auf den unteren Rücken gehoben oder es klettert selbst, dahin, wo das Hohlkreuz ist. Das Tuch wird darüber geworfen und im Aufrichten einmal so um den Oberkörper geschlungen, dass die Babybeine rechts und links herauskucken, ein fester Knoten, die Schwerkraft und die Brüste halten alles an Ort und Stelle. Wenn es sein muss, kann so ein weiteres Baby vor dem Bauch getragen werden. Jungen und Männer benutzen kein Tuch, tragen Kinder aber auch manchmal auf dem Rücken. Wer zwei Jahre lang von unterschiedlichen Menschen auf diese Weise transportiert wurde, ist körperliche Nähe gewohnt, stelle ich mir vor. 

Das Stillen passiert, wann immer das vom Rücken herunter gekletterte Kind danach verlangt und an Ort und Stelle: beim Essen, im Gespräch mit anderen, im vollbesetzten Trotro – dazu sind die großen Ausschnitte der Kleider gut –, und ganz ohne das Diskretionstuch, das bei uns gern über die Angelegenheit gebreitet wird. Geschäftsidee: heilsame Kulturschock-Reisen für hysterische Amerikaner und andere Menschen, die den Anblick weiblicher Brüste von ihren Gedanken an Sex und was weiß ich noch trennen können wollen.

Direkt gegenüber des Eingangs zu dem Haus, in dem ich wohne, befindet sich die Toilette der dazugehörigen compound (es gibt, soweit ich weiß, keine gute Übersetzung für diese Art von mehr oder weniger abgeschlossenem Hof mit einer oder mehreren Wohnungen darin. Wohnanlage klingt in den meisten Fällen zu grandios für das, was es ist). Die Toilette ist ein Loch im Zementboden, darum vier etwa brusthohe Wände. Unisex, versteht sich. Wenn man darin steht, kann man immer noch auf die Straße schauen und Passanten grüßen.

Händeschütteln ist wichtig und wird ausgiebig getan. Wie im Nahen Osten auch laufen besonders gut miteinander befreundete Männer gern ein Stück Hand in Hand durch die Gegend. Mich nahm neulich ein fürsorglicher Busfahrer am Handgelenk und führte mich am Hauptverkehrsknotenpunkt Circle über die Straße. Ich hatte nach meinem Trotro gefragt, er zeigte mir den Weg durchs Chaos zudringlich rufender Taxifahrer. Wenn mir einer von ihnen auf die Schulter tippt und ich fauche: »Warum fässt du mich an?«, kriegt derjenige Ärger von den Umstehenden. Obrunis haben andere Vorstellungen davon, was als persönliche Distanzzone gilt. Sie müssen sich aber auch den überwiegenden Teil ihres Lebens mit Stoffschichten, Daunen, Glas und Mauern vor der Außenwelt schützen.