17.12.

Was fehlt: 

Die Möglichkeit, unsichtbar zu sein - in der Menge zu verschwinden. Jeder meiner Schritte wird wahrgenommen und manchmal auch kommentiert: »Geht es dir gut? Ich habe dich gestern gar nicht gesehen« oder »Ich habe dich gestern gesehen, du hattest eine Mango und Bananen gekauft«. Rrrright. Verloren gehen kann ich so aber auch nicht. Irgendjemand weiß immer, wo ich gerade stecke. 

Die Möglichkeit, einigermaßen unkompliziert von hier nach da zu kommen. Um nicht völlig durchgeschwitzt und pünktlich zu Terminen in den teureren Gegenden im Norden Accras zu erscheinen, benutze ich Taxis, die kosten halt zehn Mal so viel wie Trotros. Uber boykottiere ich, aus Prinzip. Einladungen kommen mit ellenlangen Wegbeschreibungen. Viele Straßen haben mindestens zwei verschiedene Namen, die aber meist sowieso niemand kennt, sichtbare Hausnummern existieren nicht, Taxifahrer orientieren sich an Gebäuden, die mir oft nichts sagen, Google Maps wiederum kennen sie oft nicht, es irritiert sie, die Stadt auf einer so kleinen Karte zu sehen, manche sind zu eigensinnig, um sich von mir den Weg weisen zu lassen, wenn ich sage, ich sei da auch noch nie gewesen etc. pp. Im Zweifel kann man denjenigen, den man besuchen möchte, immer anrufen, das Handy an den Taxifahrer weiterreichen und die andere Person den Weg beschreiben lassen. Im Stau (werktags von 6.30 bis 9.30 Uhr und 16 bis 19.30 Uhr) steht man aber so oder so. Ein Moped wäre perfekt, aber auch ein bisschen selbstmörderisch. (In Jamestown, dem historischen, hafenstadtmäßigen Teil von Accra, jagden gestern Dutzende Motorräder die Straße auf und ab, darauf je zwei Jugendliche mit Whiskeyflaschen in der Hand, dazu eine Handvoll Autos, aus deren Fenstern jeweils sechs Leute hingen, Füße auf den Polstern, Hintern freischwebend, Hände in der Luft, 80 km/h, Hupkonzert, Gejohle. Sie gehörten zu einer Beerdigung; die Frau neben mir – die Kirche hatte gerade einen Schwall Besucher freigegeben – sagte: »Schau sie dir an, wie sie ihr Leben riskieren.« Ich fand es ein bisschen toll, aber das sagte ich ihr nicht.)

Was nach wie vor nicht fehlt: 

Europäische Weihnachten. Es hat erfreulich lange gedauert, bis sich das sogenannte Fest bemerkbar machte. Weihnachtslieder (Joy To The World und Last Christmas in supercheesy Versionen) laufen schon länger, aber erst seit vergangener Woche sind die Läden geschmückt: draußen sind Säulen und Balkone mit grünen und roten Stoffen umwickelt, drinnen: goldene Girlanden, Kugeln, blinkende Plastikbäume. Auf der Straße verkaufen sie billige Weihnachtsmannmützen mit einer blinkenden 2018 darauf, manche Trotro-Fahrer und mates tragen die. Bekloppt, aber auch lustig. Ich habe damit nichts zu tun. 

Auf einmal laufen sehr bunt kostümierte junge Männer mit Strohmasken im Gesicht herum und sammeln Geld. Es sind Fante, die irgendeinen einen brasilianischen Brauch übernommen haben. Überhaupt: Gruppen von Leuten, die zu sehr lauter Musik hinter einem massiven Soundsystem hinterher rennen, tanzenderweise. 

Das Fest findet für die Christen selbstverständlich in der Kirche statt. Manche Gottesdienste dauern schon an jedem gewöhnlichen Sonntag vier Stunden, ich kann mir also ungefähr denken, was an Weihnachten los ist. Das wäre der Tag, an dem ich fast unbeobachtet die Straßen Accras entlanggehen könnte. Was die Moslems machen, werde ich nicht mit eigenen Augen sehen (Nichts besonderes wahrscheinlich. Toufic für seinen Teil ist mit seiner Frau zu ihrer Familie nach England gefahren, »zum Frieren«, wie er sagte, dabei schüttelte es ihn. Hamza, der im Immigrantenviertel Nima lebt - im poshen Norden der Stadt nennt man es einen Slum -, hat mich zu einem Weihnachtsessen eingeladen, das sie dort veranstalten). Ich bin trotzdem zufrieden mit meiner Entscheidung, in Begleitung einer Flasche südafrikanischen Weißweins (mein Weihnachtsgeschenk an mich selbst, einem Laden namens Say Cheers! sei Dank) an einen Strand ganz im Westen zu fahren (275 Kilometer, sechs Mal umsteigen, zwei Tagesreisen), an der Grenze zur Elfenbeinküste. Dort soll es Schildkröten geben; gerade ist die beste Schildkrötenbeobachtungszeit.