19.12.

Als Kontrastprogramm zum Vortag und der Vollständigkeit halber bitte ich Hamza, mich nach Agbogbloshie zu begleiten. 

Wir nehmen ein Taxi quer durch die Stadt und laufen ein Stück, bis wir am Rand der Müllkippe stehen. Hamza geht voran, grüßt ab und an jemanden mit »Salam Aleikum«, ich gehe hinter ihm her und tue dasselbe. Berge von Plastikbehältern, einer gelb, der andere blau, daneben weiß. Lila Coral-Waschpulver-Behälter, blau-rote Wassertüten, grüne Wasserflaschen. An einem Gerüst hängt eine Paketwaage mit Haken, gleich dahinter werden Leinensäcke voller Plastik in einen Schredder geworfen, heraus kommen bunte Schnitzel, die auf einer Decke in der Sonne ausgebreitet werden, bevor sie, erklärt Hamza, in den Weiterverkauf gehen. Müllkippe klingt irreführend chaotisch, hier herrscht ein sichtbares System, Ordnung sogar. 

Neben der Plastikabteilung liegt die für Elektroschrott. Urplötzlich ändert sich der Sound, statt von Häckselgeräuschen ist die Luft von metallischem Klonken erfüllt. Wohnhütten, dort, wo man die Erde sieht, ist sie tiefschwarz von Öl und Asche, überall anders sitzen Jungen und Männer inmitten von Metallhaufen und bearbeiten mit Hammern, Meißeln und Macheten die Rückwände von Kühlschränken, Waschmaschinen-Innenleben, Automotoren, Kabel. Alu zu Alu, Kupfer zu Kupfer, Rost zu Rost. Dazwischen türmen sich Autoreifen auf, Karossen, stehen antike Druckermaschinen der Firma Myford (Nottingham, England) und intakte Kinderfahrräder zum Verkauf. Uns kommen zwei junge Männer entgegen, jeder von ihnen trägt fünf alte Laptops auf dem Kopf.

Dafür, wie viele Menschen hier leben und arbeiten - 40.000 sollen es sein -, ist es eigenartig still, fast friedlich. Null bedrohlich jedenfalls. Bis auf das geschäftige Hacken ist wenig zu hören, alle gehen ihren Jobs nach. Zwei kleine Jungen spielen Verstecken in einem ausgeweideten Kühlschrank, zwei Männer ein Brettspiel. Eine Köchin verkauft aus in zwei Blecheimern heraus Mittagessen, ein Handyhüllenverkäufer dreht seine Runden, Mädchen verkaufen Wasser, einer lässt sich von einem anderen mit dem Rasiermesser die Haare schneiden, wie immer freilaufende Hühner und Ziegen. Agbogbloshie unterscheidet sich nicht von vielen anderen Orten Ghanas, nur dass es vom hiesigen und europäischen Wohlstandsmüll lebt. Im Gegensatz zu anderen Städten aber wird hier nichts achtlos fallengelassen, sondern alles einer Verwendung zugeführt - entweder nebenan direkt weiterverkauft (Schrauben, Muttern, Unterlegscheiben, Federn, Kugeln aus den Kugellagern), verbaut (Öl- und Kerosinfässer zu Metallmöbeln) oder eingeschmolzen. Nichts, gar nichts wird verloren gegeben. Alles ist wertvoll, selbst die ausgekratzten Kokosnussschalen, die verbrannt und zum Fischräuchern benutzt werden. Es riecht nicht besser oder schlechter als irgendwo anders. Aber es ist auch trocken gerade. In der Regenzeit versinkt hier alles in schwarzem Matsch und Pfützen. Jemand hat Agbogbloshie mal den giftigsten Ort der Welt genannt. Und wer hier als Burner arbeitet, also Plastik verbrennt, um an die Metalle zu kommen, stirbt mit Mitte 20 an den Schäden durch die Dämpfe, die er permanent einatmet. Agbogbloshie wird auch Sodom und Gomorra genannt. 

Die Einwohner sind interne Arbeitsmigranten, fast alle von ihnen stammen aus Tamale im muslimischen Norden. Am Rand der Siedlung angekommen, dort, wie Rauchschwaden aufsteigen, es riecht es nach Plastik. Vor uns tut sich eine fußballfeldgroße Fläche voll plattgetrampeltem Müll auf, darauf ein paar Jungen und eine Herde Zebus - Rinder, die auf Plastik grasen.

 Wir drehen rum und verlassen den Schrottplatz in Richtung Zwiebelmarkt, gleich daneben. Säckeweise rote Zwiebeln, Hunderttausende, ein Händler neben dem anderen, durchs nichts zu unterscheiden, jeder bietet »Quality Products«, alle Ziebeln stammen aus Niger. Sie gelten als leichter zu verarbeiten und besser als die heimischen. Der Zwiebelmarkt geht nahtlos in den Agbogbloshie-Markt über. Bankgebäude, ein Pepsi-Werk, ein Partei-Büro der New Patriotic Party, ein Parkplatz, auf dem ein alter deutscher Transporter steht: »Öko-Qualität mit Sicherheit«, eine reisige Markthalle, deren Geschäft sich bis auf die Straße ergießt: Second-Hand-Kleider und -Schuhe, Ingwer, Yam, frische Chili, getrocknete Chili. Ein junger Mann hängt auf einem flachen Hausdach Wäsche auf, Bettler unter Sonnenschirmen, eine Händlerin, die vor sich einen Reissack voller weißer Kristalle stehen hat, ruft: »Madam, lokales Salz!«. Ich lehne dankend ab, genau wie die Kokosnüsse, Mangos, Ananas und Melonen, die links und rechts zum Verkauf stehen. Ein wenig lächerlich, weil der Großteil des Obstes und Gemüses, das man in Accra kaufen kann, über diesen Markt in die Stadt gelangt. Ein Truck kämpft sich durch die Passantenmenge, auf der Scheibe steht: »No condition is permanent«. Na dann ist ja gut. 

Am Abend bin ich zurück in Osu, sonnenversenkt und mit brennenden Augen. Die Ziege im Hinterhof schreit sich ein weiteres Mal in den Schlaf.