22.11.

Als mich Oumar am Busbahnhof in Ouaga absetzt, trifft er da auf einen alten Bekannten: Jean-Luc, der hat das gleiche Ziel wie ich: Bobo-Dioulasso.

Jean-Luc ist ein Silver-Ager, von dem die Werbeindustrie träumt: Ausgestattet mit seinem iPad, Moleskin-Notizbuch und ins kurze weiße Haar geschobener Wayfarer reist er durch die Welt, noch ausgedehnter und unbesorgter, seit er 160 Chemotherapiesitzungen hinter sich und seinen Ingenieursposten aufgegeben hat. Gegen die verbleibenden Schmerzen, und weil es ihn so viel fitter macht als er jemals war, nimmt er Fentanyl. Seine Frau, mit der er in Mailand lebt (die Italiener hätten so viel mehr Geschmack und die bessere Esskultur als die Franzosen), reist nicht gern, sondern arbeitet lieber in ihrem Job, nachdem sie so viele Jahre Hausfrau und Mutter war. Dank Spotify ist Jean-Luc Experte für afrikanische Musik. Er quackelt fast die gesamten, von lautem Highlife aus dem Autoradio untermalten fünf Stunden bis Bobo-Dioulasso. Die schlaglochfreie neue Straße dahin wurde mit Geldern der Europäischen Union gebaut, herzlichen Dank dafür. Als Jean-Luc kurz eingeschlafen ist, sehe ich meine ersten Baumwollfelder, gerade ist Erntezeit und die erste kleine Lehmmoschee in Termitenhügelform, dann kommt uns eine Kolonne Armeefahrzeuge entgegen, darin – und das ist kurz beunruhigend – uniformierte und bis an die Zähne vermummte Weiße. Wer sind die und in wessen Auftrag sind die hier?

In der kurzen Pause auf der Hälfte der Strecke teilen wir uns ein gebratenes Hähnchen und eine Packung Sesamkekse. Jean-Luc erzählt mir, wo das feste braune Papier herkommt, mit dem die Händler immer das Fleisch einpacken: Es sind Zementtüten, die Schichten, die nicht mit dem Staub in Berührung gekommen sind. Wenn, wäre das wohl auch nicht so schlimm. Auf dem Markt verkaufen sie kleine Zementstücke an schwangere Frauen, die diese wegen des Kalziumgehaltes essen. (Neue Geschäftsidee für Berlin: Brutalismus-Nahrungsergänzungsmittel. Burkinabische Zementpillen könnten gut bei Architekten und Healthgoths ankommen. 032C als Kooperationspartner gewinnen.) Am Montag kommt Emmanuel Macron auf Staatsbesuch nach Ouagadougou, Jean-Luc will schauen, ob er ihn live sehen kann. So lange besucht er eine Freundin in Bobo-Dioulasso.

Bobo ist die zweigrößte Stadt Burkinas, aber selbst das Zentrum wirkt winzig. Es ist noch ein bisschen roter und staubiger als Ouaga, mit nicht ganz so viel schöner Architektur. Der Taxifahrer seufzt, dass es keine Arbeit gäbe. Was komisch ist: Wenn in Berlin oder Paris ein Attentat verübt wird, wo es schon unter normalen Umständen so viel unsicherer ist als hier, fahren die Leute in der Woche darauf wieder hin, genau wie das von Freiheitsverteidigern richtigerweise gefordert wird. Hier legt sowas den Tourismus lahm, und zwar auf Jahre. Und es macht die schöne Statistik kaputt, nach der in Burkina die wenigsten Gewaltverbrechen verübt werden – weltweit. Glaube ich sofort. Die Leute sind einfach zu freundlich für sowas. 

Weil im Bois d’Ebène, in dem es unter der Woche Live-Musik geben soll, nichts los ist, treffen wir uns zum späten Essen auf einer sehr belebten Straße. Die Minikleid-Frauen vor der Kneipe mit den uralten Flipperautomaten sehen gleichzeitig hochtoupiert und ein wenig abgerissen aus. Jean-Lucs ivorische Freundin Amandine ist sehr jung und sehr schön, außerdem besitzt sie ein humoristisch-schauspielerisches Talent, das sie allein in ihrem Gesicht und mit der Zahnlücke zwischen ihren Vorderzähnen zur Aufführung bringen kann. Sie schaut in ihrem Plastikstuhl zur Musik tanzend zu Jean-Luc, schürzt die Lippen, dann wendet sie mit dem Kopf wackelnd den Blick ab, zugleich arrogant, verführerisch und ironisch.

Wir essen gebratenes Hähnchen (den Kopf gibt es mit dazu) und Nierchen mit Zwiebeln. Dazu gibt es lasche Pommes, die der Junge direkt neben mir sorgfältig von Hand in eine mit Wasser gefüllte Blechschüssel geschnitzt hat, und Brakina-Bier. Den Weg zurück in mein Hotel findet der Taxifahrer anhand von zwei Telefonaten mit ortskundigeren Freunden. Ich finde mich auch nicht mehr so gut zurecht, man unterschätzt, wie fremd eine Stadt nachts aussieht, wenn nur die Hauptstraßen beleuchtet sind.

#Lifehack: Die Kanne Kaffee für den nächsten Morgen schon am Abend aufs Zimmer bringen lassen. Kalter Kaffee ist besser, als bis 7 Uhr auf Kaffee zu warten.