23.11.

Beim Frühstück ruft Edwige an. Sie hält das Telefon in den Klassenraum und die Kinder rufen im Chor: »Bonjour, Anne!«. Es ist kaum auszuhalten.

Meine Herberge in Bobo verfügt zwar nicht über das angekündigte Internet, dafür leiht man mir ein Moped mit weißem Rosenkranz am Lenker. Das hier tatsächlich wie ein Fahrrad behandelt wird: Ich bekomme den Schlüssel ausgehändigt und kurz erklärt, wie das Gefährt funktioniert, das war’s. Für langweilige Dinge wie Fahrkenntnisse, Anzahlung, Papiere oder Versicherung interessiert man sich nicht. Die Helmpflicht wird sowieso mit einer Konsequenz ignoriert, die mir gefällt. Dafür fahren alle unter größter Rcksichtnahme und in gemächlichem Tempo. 

Dann also: die große Freiheit. Ich kurve den halben Tag in der Stadt herum, die klar an Paris orientierten Magistralen entlang, von der Place des Femmes auf die Avenue Charles des Gaulle, runter zur Place de la Nation, an der alten Lehmmoschee vorbei, vor der Tuareg sitzen, durch das Labyrinth des Marktes, zum sehr schönen, sehr unbenutzten Bahnhof. Halb sudanesische Banco-Architektur, halb Kolonialstil gleißt sie wie eine Fata Morgana, auf den Treppenstufen hocken Menschen, davor befindet sich ein kleiner Markt. Züge sind hier nie so richtig gefahren. Der Zweite Weltkrieg hat das unter Zwangsarbeit umgesetzte Kolonial-Großprojekt Eisenbauhnstrecke von der Elfenbeinküste bis nach Niger gestoppt.

Eine Stunde dauert es, bis ich den Busbahnhof der Rakieta-Gesellschaft finde, weil drei Leute an drei unterschiedlichen Punkten sagen: »Du fährst über die drei nächsten Kreuzungen, dann links«. Aber ich lasse mich auch gern ablenken von wie aus der Zeit gefallen wirkenden Gebäuden, staubigen Schildern und schönen Leuten. Mit der richtigen Haltung getragen, kann ein graues Sakko über einem Jogginganzug übrigens sehr gut aussehen. 

Beim Froschschenkel-Mittagessen im Restaurant Eau Vive, das abgesehen vom Porträt des Papstes an der Wand eingerichtet ist wie ein evangelisches Seniorenheim, aber in gut, erzählt mir die dort arbeitende Nonne, sie ist Vietnamesin, von der Mission ihrer Schwestern. Seit fünf Jahren sei sie hier, ihr erster Posten seit der sechsjährigen Ausbildung. »Jedes Land hat seine Reichtümer« flötet sie und wie die Asiaten immer versuchten, ein besseres Leben für sich zu erarbeiten. Als ich mein Karité-Eis löffle, donnert eine Taube an die Fensterscheibe und verendet mit gebrochenem Hals in einer kleinen Blutlache auf den Fliesen. An der Scheibe hat sie einen weißen Fleck in hinterlassen, die Taubenversion des Turiner Grabtuchs.

Von Wetter kann ja hier nicht richtig die Rede sein, nur das Klima ändert sich über die Monate. Aber das Wetter ist heute trotzdem schon den zweiten Tag anders als sonst: diesig, man könnte die Staubschleier in der Luft mit Nebel verwechseln, der vor der Sonne hängt und macht, dass man reinschauen kann. Das muss nun wirklich der Harmattan sein.

Im Bus nach Banfora steigt eine Frau zu, groß und hager, und setzt sich neben mich und reicht mir die Hand. Sie spricht kein Französisch, hat also höchstwahrscheinlich nie eine Schule besucht. Während der Fahrt beobachtet sie mich und legt irgendwann ihre schmale Hand auf meine. Sie streicht über meine Haut, dann betrachtet sie ihre, die faltig ist und trocken.

Wir passieren ein Dorf, das offenbar von der Lehmziegelproduktion lebt. Die Hütten gruppieren sich um eine wässrige rote Grube herum, in der Menschen mit dem Abbau von Lehm beschäftigt sind, darunter auch Kinder. In Berlin in der Ed-Atkins-Ausstellung gibt es eine Arbeit, die aus einem CGI-Video und einem Text besteht. Atkins spricht da in der zweiten Person Singular von (oder zu) einem Mann im Mittelalter, der es Zeit seines Lebens nicht leichter haben wird als alle seine Vorfahren. Kein Weg hinaus. Daran muss ich hier manchmal denken.

Draußen wird es mit jedem Kilometer grüner, fast dschungelhaft. Das ist der Landstrich mit den wenigen Prozent des burkinabischen Bodens, der fruchtbar ist. Zebu-Herden, Bananenplantagen, Palmenplantagen, Zuckerrohr-Plantagen mit drei Meter hohen Pflanzen. Weite, grüne Felder, in denen kleine Gruppen von Frauen Reis dreschen.

Was wohl geworden wäre aus Burkina, wenn sie Thomas Sankara nicht nach ein paar Jahren Präsidentschaft verraten und umgebracht hätten. Er war radikal und eben auch radikaler Feminist, der den Anteil von weiblichen Ministern im Handstreich auf ein Drittel festlegte und überhaupt: die Frauen befreien wollte. Neulich sah ich eine in einem Kleid aus gemusterten Stoff, auf dem stand: »08. März. Im Kampf gegen die Zwangsehe«.

Für Jonas