26.11.

Wie um mir meine Frage vom Vortag zu beantworten, setzt mir der Geist Thomas Sankaras Pélagie vor die Nase – oder auf den freien Platz neben meinem im Bus. Sie ist vielleicht Mitte, Ende Dreißig, trägt eng am Kopf geflochtene Zöpfe mit Schmuckperlen an den frei baumelnden Enden, dem Schoß hat sie eine an Hermès angelehnte Handtasche aus lila Lack sitzen, während sie Nachrichten in ihr Smartphone tippt. Ihr Kleid ist aus einem Stoff mit bräunlich-grünem Psychedelic-Muster gemacht, in dazwischen gestreuten Textfeldern steht: »Die Gleichberechtigung der Frauen bedeutet den Fortschritt aller«. Ich beschließe, sie zu zwei meiner Forschungsgebiete auszufragen: einheimische Mode und Frauenleben.

Sie habe es sich das Ensemble vor zwei Jahren anlässlich des Frauentages von ihrer Schneiderin in Ouaga anfertigen lassen, erzählt Pélagie. Sie arbeite für eine mehlherstellende Firma und sei gerade auf Geschäftsreise in Banfora gewesen. Weil ich so viel darüber gelesen habe, welche Verheiratungs-Maßnahmen ergriffen werden, um jede Frau und jeden Mann mit Kindern auszustatten, weil ein Leben ohne Kinder ein nicht gelebtes ist, schlechterdings undenkbar, und ich immer nur gerade so als jung genug durchgehe (Denise nannte mich immer nur »das Baby«), dass ich sagen kann: »Noch keine«, frage ich Pélagie: Wie viele Kinder hast du? Und sie antwortet: »Keine. Meine Gesundheit lässt es mehr nicht zu«, – womit sie wohl sagen will, dass sie zu alt ist –, »Ich habe keine Kinder und bin nicht verheiratet. Dafür habe ich meinen Job und mein gutes Gehalt. Mein Vater hat kein Problem mit meiner Entscheidung. Er sagt, ich solle tun, was ich für richtig halte.« Ich beglückwünsche sie zu ihrer Selbstbestimmtheit. Wie hat Christoph Schlingensief noch gern gesagt, wenn was zu seiner Zufriedenheit war? »Na also, geht doch!«

Der Claim von Rakieta lautet zwar »Modernität – Pünktlichkeit - Komfort« und der Bus fuhr auch auf die Minute ab, aber er ist alt und die Klimaanlage funktioniert schon lange nicht mehr. Es ist trotz der zu den Fenstern herein wehenden Luft ultraheiß, aber wie immer traue ich mich nur ganz wenig Wasser zu trinken. Die Fahrt an die burkinabisch-ghanaische Grenze wird acht Stunden dauern, der Bus wird zwar fünf Stopps an Distriktgrenzen und Zollpunkten machen, wo jedes Mal wieder alle aussteigen und den Polizisten ihre Ausweise zeigen müssen (wenn sie sehr nett sein wollen, sagen die Gendarmen »Willkommen!« zu mir, auf Deutsch) aber zum Pinkeln ist meist keine Zeit oder es gibt keine Klos. Ich leide lieber Durst als unter geplatzter Blase. Nur einmal hält der Fahrer lange genug an einem Bahnhof, damit die Moslems unter den Fahrgästen beten können, immerhin ist Freitag. Ich steige aus und kaufe mir bei den verlässlich angelaufen kommenden Frauen mit den Blechschüsseln auf den Köpfen mein Mormonenessen: ein halbes Baguette, das die Händlerin aufschneidet und mit Fischragout aus einem kleinen Topf bestreicht, dazu zwei Spieße aus einer Art gebratenem Tofu mit scharfer Soße, und zwei Päckchen eiskaltes Wasser. Gesamtpreis: ein bisschen mehr als 50 Cent.

Pélagie und ich unterhalten uns noch ein wenig über die politische Situation in Togo und in Zimbabwe, den Rest der Zeit schaue ich raus in die Landschaft, deren Grün sich wieder in Savanne verwandelt. Als es dunkel wird, ist es gleich stockdunkel. Man sieht nur noch einzelne Neonröhren-Beleuchtung, irrlichternde Handytaschenlampen in den Dörfern, und immer wieder Buschfeuer - so nah an der Straße, dass die Hitze im Bus zu spüren ist. Es sind zu viele, um nicht absichtlich gelegt worden zu sein.

In Hamile angekommen, quackelt mich ein angeblicher Guide zu, ohne mir auf meine Frage nach der nächsten Unterkunft zu antworten. Da kommt einer auf dem Moped an und kuckt als wäre er interessiert daran, mir zu helfen. Ich wuchte meine Tasche auf den Platz zwischen seinen Füßen, steige hinter ihm auf und sage, er solle mich bitte zum Hotel auf der hiesigen Seite bringen. Noch kann ich mich nicht trennen. »Was war das Beste, das dir in Ghana zugestoßen ist?« - »Burkina Faso.«