28.11.

Und dann zeigt sich doch noch mal ein Elefant. Die Morgensafari wird verlängert, weil einer der Ranger ein Tier gesehen und seine Kollegen per Handy informiert hat. Wir laufen unserem Mann, Robert, hinterher, der sagt: »Und jetzt schnell«. Was sonst wirklich nie irgendjemand sagt. Die Dame auf der Ecobank in Ziniaré, die mich aufrief, weil die Verbindung dann endlich stand und sie mir mein Geld auszahlen konnte, meinte, als ich mit einem Satz vor ihrem Schalter stand: »Du bewegst dich so schnell«.

Wir gehen also mit großen Schritten und landen schließlich auf einer Lichtung. Da bricht ein großer Bulle ohne Stoßzähne mit dem Rüssel Zweige vom Baum. Keiner sagt ein Wort, alle schauen, machen still Bilder, eine weint ein bisschen. Dann geht der Elefant weiter und verschwindet im Wald. Show für heute beendet.

Während wir die Anhöhe zurück zum Motel steigen, befrage ich Robert zu den drei langen, senkrechten Narben auf jeder seiner Wangen. Sie weisen ihn als Angehörigen des Stammes der Gonja aus, denen ein Großteil des Bodens des Nationalparks gehört; Roberts Großvater war Gonja-Häuptling. Die Narben bekommen sie als Kinder, am siebten Tag ihres Lebens.

Ich will nur schnell meine Badesachen aus dem Zimmer holen und lasse die Tür offen stehen, während ich suche. Als ich gehen will, sitzt ein ausgewachsenes Pavianweibchen mitten im Zimmer und räumt meine Tasche aus. Es ist sitzend so groß wie ein dreijähriges Kind, aber sehr viel cleverer und schneller. Die Äffin nimmt das Gaffa-Tape in die Hand, die Hautcreme, riecht daran und schmeißt alles auf den Boden, nimmt jede einzelne der dünnen, schwarzen Plastiktüten und reißt sie auf, auf der Suche nach Essbarem. Auf dem Nachttisch liegt ein Beutelchen Milchpulver von meinem Morgenkaffee, die Pavianfrau lässt sich den Inhalt in den Mund rieseln. Sie findet burkinabische Kekse und isst die hektisch, danach die Krümel, die ihr auf den Boden gefallen sind, sie öffnet sie den Mülleimer und dreht ihn auf den Kopf, es fallen aber nur Orangenschalen heraus. Zwischendrin schaut sie immer wieder nervös zur offenen Tür, als hätte sie Angst, dass jemand anderes (ein anderer Affe?) hereinkommt. Ich klatsche in die Hände, um sie aus dem Zimmer zu treiben, es scheppert trocken, als Reaktion sie macht eine Vorwärtsbewegung, wie um mich anzugreifen. Also schaue ich zu und rede mit ihr, sage Dinge wie: »Das reicht jetzt aber!« und »Oh nein, das nicht!«. Sie springt ins Bad, wo aus unklaren Gründen ein offenes Glas Oliven herumsteht, aber die gefallen ihr offenbar nicht. Als sie zurückkommt, habe ich mir ein Handtuch gegriffen, mit dem ich nach ihr peitsche. Sie gibt schließlich auf und hüpft aus dem Zimmer. Mann! Der Ranger, der draußen mit einer Schleuder und einer Hosentasche voller kleiner Steine patroulliert, hätte mir eine Warnung sein können. Andererseits auch unterhaltsam, so ein Affenüberfall.

Durch den Vorfall mit den Kack-Volunteers bin ich auf einmal mit einem Pärchen Heilerzieher aus dem Ruhrpott verbündet – viel reisende Menschen, die sich auch aufregten. Sie wollen auch auf die Fähre, wir schließen uns einstweilen zusammen. Die Mole-Mafia, wie wir die Motelleitung nennen, besorgt uns ein überteuertes, aber klimatisiertes, und fast fabrikneu aussehendes Auto, das uns bis zur seit Wochen kaputten, und deshalb mit dem Bus oder Auto unbefahrbaren Brücke bringen soll, die wir dann zu Fuß überqueren wollen. Nach ein paar Kilometern der sehr komfortablen Fahrt wird der Fahrer von der Mafia zurück in den Park beordert, anscheinend haben zahlungskräftigere Gäste Bedarf für das Luxusmobil angemeldet. Wir werden in eines der üblich ausgeweideten Taxis umgesetzt, irgendein Freund, der zur Stelle ist. Auch schon egal.

Unser neuer Taxifahrer, er heißt Gideon, ist vom Stamm der Sasala, die normalerweise zwei von jeden Mundwinkeln ausgehende Narben tragen, eine schräg auf-, die andere absteigend. Gideon aber trägt stattdessen zwei kurze Markierungen auf den Jochbeinen, Erinnerungen an die Kinder, die seine Mutter vor seiner Geburt auf die Welt gebracht und verloren hat. Er ist sehr redefreudig, versteht, warum wir das alles wissen wollen und gibt uns auch einen Kurzlehrgang in traditioneller Medizin. Mit welcher man zum Beispiel eine Frau in sich verliebt macht, wie diese Verliebtheit aber zusammen mit der Medizin nach dem zweiten Kind den Körper wieder verlässt. Und dann hat man halt ein Problem.

Weil er aber auch ein guter Christ ist, entschuldigt er sich jedes Mal, wenn er das Wort »Penis« in den sogenannten Mund nimmt, um die Wirkungsweise eines Mittels gegen Erektionsstörungen zu beschreiben (Erektionsstörungen sind sowieso ein Riesenthema, gegen das es diverse, auch im Fernsehen beworbene Mittel gibt. Um ein Tabu handelt es sich jedenfalls nicht. Gleichzeitig existiert Männerseife, die weiche Haut machen soll, in Accra gibt es Executive Grooming Lounges für die Männer-Maniküre. Männlichkeit und Gepflegtheit schließen sich keinesfalls aus). Als ich ihn frage, was seine Kirche von seinem animistischen Glauben hält, sagt er: »Ich glaube an traditionelle Rituale, aber ich führe sie nicht aus.« So einfach. Ich habe mir eines der üblichem Zustimmungs- oder Verstehensgeräusche angewöhnt, es klingt wie »Ähä«, schnell und ein bisschen spitz.

Als wir mit unserem Gepäck beladen über den Schwarzen Volta laufen, bin ich wieder mit Ghana versöhnt. Der Fluss ist von grüner Vegetation eingefasst, am südlichen Ufer findet ein Markt statt: Es stehen Zebus zum Verkauf und mit Indigo gefärbte Gewebe, die Waren werden statt wie sonst unter Palmblattdächern unter gespannten Stoffplanen aufgereiht. Die Leute tragen Kaftane und Kappen – zöge man die Autos ab und die schlanken türkisen, den Fuß umfassenden Plastikschuhe, die besonders unter Moslems beliebt zu sein scheinen, könnte die Szenerie wahrscheinlich genau so auch vor 100 Jahren gespielt haben.

Unter denen, die uns entgegenkommen, sind Fulani-Mädchen, die als die schönsten Frauen der Gegend gelten. Sie sehen orientalisch aus mit ihrer hellen Haut und den schmalen Köpfen, die Gesichter mit Henna tätowiert. Dazu tragen sie viel Schmuck, Septum-Piercings und bunte, weite Gewänder. Fulani waren jahrhundertelang Nomaden, unter dem Einfluß des Islam wurden sie sesshaft. Gideon hat erzählt, dass sie traditionell Hirtinnen seien, gute auch. Hätte er Rinder, würde er sie in die Obhut dieser Mädchen geben. In der Kultur der Fulani steht die Kuh an erster Stelle. Dann kommt die Frau. Dahinter der Mann.