31.10.

Die Geschichte mit den Träumen also schon wieder. Sie scheint Schulstoff zu sein.

In der frühabendlichen Rushhour im vollbesetzen Trotro setzt sich einer mit Hemd und lederner Aktentasche neben mich, sagt: »Good Evening«, comme il faut. Nach kurzem Smalltalk über unsere jeweiligen Fahrziele und Berufe (er arbeitet in einer Firma für medizinischen Bedarf), fragt er mich, ob ich an Gott glaube. Ich antworte wahrheitsgemäß.

- Warum nicht?

- Weil ich nicht mit der Kirche aufgewachsen bin.

- Gehst du irgendwo anders hin, um zu beten?

- Nein. Er zuckt ganz leicht mit dem Kopf, wie um eine Fliege zu verscheuchen.

- Lass mich dich etwas fragen: Wenn du einen Apfel isst und den guten Geschmack der Frucht auf deinen Lippen spürst, wem hast du das zu verdanken? 

- Dem Apfelbauern. Und den Äpfeln, die ich früher schon mal gegessen habe. 

- Das ist nicht, was ich meine. Wer hat den Apfel gemacht? Wo kommen wir Menschen her?

- Den Apfel haben der Apfelbaum und die Bienen gemacht. Wir haben uns aus den Affen entwickelt. Wissenschaftler nennen das Evolution.

- Aber vorher stammen die Affen? Und woher kamen Adam und Eva?  fragt er und antwortet praktischerweise gleich selbst. Der Herr hat sie geschaffen. 

- Ah, du willst also ganz an den Anfang zurückgehen, na schön. Ich glaube nicht daran, dass es diesen Herrn gibt, von dem du sprichst. Wir haben uns aus den Affen entwickelt, die sich aus Tieren im Wasser entwickelt haben. Das Wasser kam wahrscheinlich durch eine Art großer Explosion in die Welt.

- Wenn du nachts schläfst: Wer gibt dir deine Träume, wohin geht deine Seele und wer bringt sie dir am Morgen zurück, sodass du wieder aufwachst?

- Es fängt damit an, dass ich nicht an eine Seele glaube. Sie kann also auch nirgends hinverschwinden. Meine Träume macht mir mein Gehirn.

Es ist so: Du kannst Christ sein, du kannst Moslem sein. Du kannst Christ sein und in die Moschee gehen, oder Muslima und in die Kirche. Du kannst Christin sein und einen Moslem heiraten, oder Muslima und einen Christen heiraten, und das passiert gar nicht selten (Hauptsache, du heiratest, insh’allah). Aber keinen Gott haben: Ist nicht vorgesehen, kommt schlicht nicht vor. Ist aber noch kein hinreichender Grund, um unfreundlich zu werden. Aber es ist auch gut möglich, dass er a) mich für komplett irre hält oder b) denkt, damit jetzt den Gedanken-Samen gepflanzt zu haben. Das kann ich bedauerlicherweise nicht mehr herausfinden.

- Jetzt hast du vergessen an deiner Haltestelle auszusteigen. Aber wenn du ein Stück die Straße zurückläufst, fährt da das Trotro nach Osu.

- Oh, vielen Dank. Hab‘ einen schönen Abend.