30.11.

Wie genau man an die Tickets für die beiden Erste-Klasse-Kabinen auf der Yapei Queen kommt, ist das hochgehandelteste Geheimnis der Ghanareisenden. Mir erschließt es sich nicht. Als ich beim Hafenmeister von Yeji anrufe, um herauszufinden, wann die Fähre überhaupt in der Stadt erwartet wird, sagt er »heute gegen 19 oder 20 Uhr«. Er würde mich anrufen, wenn es soweit sei. Das Schiff läuft dann um kurz vor Mitternacht ein, mit einem lauten Hupen, das man bis ins Hotel Volta Lake hört. »Kommt um drei Uhr morgens zum Hafen, dann schaue ich, was ich für euch tun kann«, sagt der Hafenmeister. So lange schlafen die Heilerzieher und ich in unserem billigen Zimmer, oder versuchen es zumindest. Es ist irre heiß, der Ventilator sehr schwach auf der Brust. Die beiden haben mir das Bett überlassen, weil sie es eklig finden und den Boden bevorzugen, sitzend. Dabei ist die Bettwäsche ohne Flecken und die Matratze genau richtig hart. 

Schon eigenartig, dass Leute, die den ganzen Tag lang Gelegenheiten dafür finden, über ihre Darmaktivitäten, die Konsistenz ihres Stuhls und das Problem des Aufs-Klo-Gehens im Entwicklungsland zu diskutieren – miteinander und mit mir –, dass diese Leute sich vor einem Bett ekeln. Soll mir recht sein. F., dem ich das Phänomen schildere und frage, ob er eine Erklärung für diese Fäkalfaszination hat, antwortet: »Oller Analytikerquatsch, aber nicht falsch: Willentlicher Stuhlgang ist die erste Leistung des Menschen, um die herum er sich das ganze Subjekt aufbaut. Daher rührt die existenzielle Bedrohung, wenn das Willentliche des Vorgangs durch Verstopfung gekappt ist.« Ein Gorillaweibchen, dem man Zeichensprache beigebracht hatte, zeigte irgendwann auf sein Töpfchen und sagte: »schmutzig = gut«.

Als wir später in der Dunkelheit hinunter zum Hafen gehen, vorbei an langen LKW-Kolonnen, liegt das Wartehäuschen still da. Ich befürchte kurz, dass die Fähre ohne uns abgelegt hat. In einer Woche käme die nächste. Aber auf den hölzernen Bankreihen und dem Mäuerchen darum herum liegen schlafende Passagiere, dazwischen hat sind quaderförmige Leih-Moskitonetze gespannt. Unter ihnen schlafen auf dünnen, ebenfalls für die Nacht gemieteten Matten, Mütter und kleine Kinder. Unter dem Holzdach fiepen Fledermäuse, in der Ferne singen sich zwei Muezzine gegenseitig an, ein Baby wimmert, jemand schnarcht. Alles wirkt sehr friedlich. Das wäre vielleicht sogar die bessere Alternative für uns gewesen. Ein Netz hatte das Hotelzimmer – das beste der ganzen Stadt – natürlich nicht. Es gab ja auch kein fließend Wasser. Andererseits: Kalte Eimerduschen sind aber überhaupt nichts Schlechtes. Das Klopapier bestand aus sauber geviertelten Seiten des Corriere della Siera, classy.

Zwei Stunden dauert es noch, bevor wir aufs Schiff gehen. Einer der jungen Marine-Ingenieure, den ich nach den Kabinen frage, sagt, die seien besetzt von ein paar Spaniern. Darf nicht war sein. Ist es auch nicht, die Spanier stellen sich als zwei alternde Belgier heraus. Die zweite Kabine hat sich ein Ghanaer gesichert, der sich in einem Holzsessel auf dem Deck sitzend das zweite Bier reinstellt, die Owners Cabin ist vom Ticketverkäufer besetzt.

Bleibt die Holzklasse, der Name passt zur Abwechslung mal. Auf den Bänken und den Tischen dazwischen liegen Menschen auf, im besten Fall, nackigen Schaumstoffmatratzen, auf dem Boden auf einem Tuch eine Mutter mit ihren beiden Kindern. Hier und auf dem Deck werden wir anderthalb Tage sein (glaube ich zu diesem Zeitpunkt noch). Obwohl ich mich von Klimaanlagen fern halte, habe ich es geschafft, mich zu erkälten. Mir tut sowieso schon alles weh. Die Toilette und die Dusche der Ersten Klasse dürfen wir als einzige neben der Crew und den Belgiern mitbenutzen, #whiteprivilege. Oder es ist wirklich so, wie mir ein Norwego-Ghanaer erklärte: Fremde sind nach ihrer Rückkehr  in ihr Land Botschafter der ghanaischen Gastfreundschaft. Deshalb behandelt man sie einfach gut. Einheimische wissen um ja schon um diesen Nationalcharakerzug.

Schnell stellt sich heraus, dass sich die Abfahrt verzögert, weil es ein Problem mit dem Antrieb gibt und der Schiffsschrauben-Taucher kommen muss. Der fängt aber nicht vor 7.30 Uhr an zu arbeiten. Als das Problem behoben ist, entspinnt sich auf der Ladefläche ein Schreikonzert zwischen Dutzenden von Truckern. Jeweils zu viert tragen sie die aus Sperrholz zusammengebauten und mit Stroh ausgelegten Käfige von Schiff, in denen eigentlich große Mengen frisch geernteter Yamswurzeln über den See transportiert werden sollten. Es geht hin und her, irgendwann bricht unter den Fahrern Jubel aus. Sie haben bei der Besatzung durchgesetzt, dass nicht die Kleinhändler mit ihren Waren, sondern sie mir ihren Fahrzeugen nach Makongo gebracht werden. »Die Brücke ist kaputt. Wir müssen ihnen helfen«, sagt der Ingenieur. In der Schlange auf dem Weg zu Hafen stauen sich die LKW von vier Tagen. Der Plan sieht vor, dass die Yapei Queen zwei bis drei Mal Fahrzeuge zwischen den beiden eine Stunde voneinander entfernten Häfen hin und her fährt, und dann wie geplant die Händler aufnimmt und die lange Strecke nach Akosombo fährt. Wir dürfen an Bord bleiben, statt zurück in die heiße Stadt zu müssen. Die ganze Reise in den Süden hat sich soeben um einen ganzen Tag verzögert. So ist das halt. Während die LKW rangieren, bis der letzte Zentimeter Platz auf dem Transportdeck ausgenutzt ist, bereitet die nette Köchin in der Kombüse das Frühstück vor. Ich bestelle Reis mit scharfer Tomatensoße und einem Stück getrocknetem Fisch. Es hieß, dass auf verzögerten Fahrten manchmal das Essen ausginge, Wasser gebe es jedoch immer.

Mein Fisch kommt hier aus dem Wasser unter uns, genau wie der gesamte Strom und das Trinkwasser des Landes. Im Zuge des Dammbaus wurden in den 1960ern ganze 80.000 Menschen umgesiedelt und 700 Dörfer geflutet. Aus dem Wasser ragen immer wieder nackte Baumkronen heraus, seit Jahrzehnten tote Wälder.

Über dem Volta-See geht die neonorange Sonne auf, Libellen umkreisen das Schiff, die ersten Fischer fahren mit ihren bunten Pirogen hinaus. Übermorgen werden wir Akosombo erreichen. Wenn alles gut geht.