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»Zeit essen Texte auf«

Reich

Essay
unveröffentlicht
Fassung des Autors
August 1993. Ich besuchte mit Freunden das Filmfest von Locarno, und wir schliefen nachts am Strand des Lago Maggiore. Helmut Berger sah ich zufällig auf der Terrasse des kleinen Grand Hotels sitzen, am Tag vor der Premiere des Films Ludwig 1881 und reichlich nüchtern. Ich sprach ihn an und verabredete ein Interview für den Tag nach der Premiere. Ich hatte nicht einmal ein Aufnahmegerät bei mir und Helmut Berger war stark verkatert von der vorherigen Nacht. Eine Stunde lang räsonierte er gegen die Amerikanisierung – irritiert, welche Partei ich in meinen braunen, wildledernen Fila-„Tennisschuhen“ einnähme.

Über hundert Jahre nach dem Tod Ludwigs II. ist es noch immer nicht möglich, sich ausschließlich von Maschinen bedienen zu lassen und die Willkür anderer Menschen gänzlich aus den Augen zu schaffen. Bereits für Des Esseintes in Huysmans Gegen den Strich sind nicht die Fortschritte in der Mechanisierung maßgeblich, sondern die in der Biogenetik: Der bisher einzig wahre Künstler ist der Pflanzenzüchter. Längst erscheint die Orchidee auf der Fensterbank passender als im Urwald.

Ludwig will nicht warten. Der König kann und sollte es sich leisten. Sein Luxus ist Notwendigkeit. Doch der Preis für das Nötigste geht schon ins Unendliche. Ludwig treibt es soweit und wird so weit getrieben, bis man ihn zwingen kann abzudanken.

Scheitert Des Esseintes, wird er Katholik. Scheitert Ludwig, wird er unausstehlich. Er versucht, sich mit Kunstgriffen zu behelfen. Statt über dem Wasser zu schweben, will er am Seil hochgehalten werden. Eine Traumwelt soll in einer Traumkammer Platz finden. Kino gibt es noch nicht. Auch das ist königlich teuer.

Heute hängt außer den Bauern nichts so sehr wie der hiesige Kinobetrieb an Europa und seinen Fördertöpfen. Auch der kleinste Nenner, auf den Helmut Berger setzen mag, ist Europa. Nur das amerikanische Geld habe er gewollt und mit Dynasty ein paar Monate lang auch bekommen.

Ein zweiter europäischer Film über Ludwig II., wieder besetzt mit Helmut Berger, ist nur möglich gewesen, weil nach Viscontis der billigere noch ausstand. Die Brüder Donatello und Fosco Dubini entschieden sich nur deshalb für Berger, weil der bei ihnen anrief und es so wollte.

Berger und Ludwig haben in diesem Film nicht viel verloren. Man sieht den fertigen Berger von allerlei Entwürfen umstellt. Dabei steht Ludwigs technischen Projekten das mit einem Menschen entgegen. 1881, das ist auch der Titel des Films, lädt er einen jungen, aufstrebenden Schauspieler ein, gespielt von Max Tidorf, ihm Schillers Tell an den Originalschauplätzen zu rezitieren. Der Schauspieler hat Talent, doch kann er es nur ausbeuten und erschöpfen. Lieber beschäftigt er sich mit der einzigen Frau des Films, einem Trampel, Vertilgerin des Außergewöhnlichen, gespielt von Nina Hoger. Ludwig zieht sich zurück. Der Schauspieler schreibt Briefe an Mama, statt auf die Ludwigs zu reagieren. Einmal gibt er sich als derselbige aus, doch es ist nur ein müder Spaß.

Helmut Berger will selber spielen, sich nicht etwas vorspielen lassen. Der billiger werdenden Technik zieht er die Natur vor, die nur zu langsam wächst. Er wohnt in einer bescheidenen, teuren Zweizimmerwohnung in Rom, aber den nötigen Wohlstand sieht er beisammen: „Das Chalet in der Normandie, den Springbrunnen, gute Bücher und feuchte Träume - keine Klassenunterschiede… keine Politik.“

Die Diva, Souverän ohne definierte Macht, eilt nicht und bleibt nicht stehen. In ihrem langsamen Wandel entgeht sie jeder Reaktion, braucht auf nichts zu reagieren. „Ich ziehe nicht um, ich ziele um“, sagt Helmut Berger.

Als der Film der Dubinis in Locarno Premiere hat, ist sein Fuß gebrochen, über den er eine himmelblaue Socke trägt und an dem er ausdrücklich leidet. Die Schuld ist irgendwo und jeder kann Mitleid empfinden. Er sitzt beinahe liegend. In paralleler Ebene zu seinem Körper machen die fleischigen Hände das Spiel. Auf Bergers weißen Manschettenknöpfen steht hot wie auf einem alten Wasserhahn, eigens für heiß oder kalt.

Er beharrt auf dem Glück alleine, jedenfalls ohne gesellschaftlichen Umgang, auszukommen. Die Männer und Frauen, die sich um ihn gruppieren und die er duldet, sind weder schön noch elegant, figürlich unbestimmt, eher dick, und etwas jünger als er, Ende Dreißig, Anfang Vierzig. Ihre Spleens sind die eines ausgedehnten Feierabends. Vielleicht kann ihm einer um ein paar Ecken ein Angebot andienen, vielleicht ein anderer bei einer Sauferei das Leben retten.

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