мартеница

Tröstlich, wenn sich bei stetig fallender Temperatur das Fernweh nach frühlingshafteren Gefilden um die Ecke stillen lässt. Im bulgarischen Supermarkt werden jetzt gleich in dem ansonsten leer geräumten Bereich hinter der Eingangstüre die hübschen Marteniza-Bändsel angeboten. Hierbei handelt es sich um miteinander verzwirnte Wollfäden in den Farben Rot und Weiß, an deren Enden sich winzige, aus dem selben Material geflochtene Püppchen befinden. Ab dem Tag der Martenizi sollen diese um die Handgelenke getragen werden, um die Ankunft des Frühlings herbeizubitten. Dann nämlich, wenn der erste Storch sich zeigt, die ersten Blüten an den Obstbäumen hervorplatzen, wurde, so der seit über 1300 Jahren währende Volksglaube der Bulgaren, die Baba Marta gnädig gestimmt. Diese mythische Baba, eine Großmutter à la Frau Holle im Grunde, wird als unfreundliche, launische Frau beschrieben, die Einfluss auf die Wetterlage besitzt. Unter Bulgaren zählt die Baba zu den Geistern, ich stelle sie mir freilich vor wie die Mume, gekreuzt mit Gundel Gaukeley.

Seltsam, dann aber auch wieder nicht (seltsam), dass in den exotischen Supermärkten Deutschlands noch immer lediglich die importierten Standardwaren verkauft werden, und nirgendwo, noch nicht einmal bei den Asiaten, der überall sonst in Deutschland florierende Trend zum Handwerklichen und Althergebrachten Einzug gehalten hat. Auf der landwirtschaftlichen Messe für Genuss und Lebensart beispielsweise, die wir gestern auf dem Frankfurter Messegelände besuchten, waren auf dem Vorplatz der Hallen natürlich etliche Foodtrucks aufgestellt, deren hinter den hohen Tresen in Hip-Hop-Kluft gekleidete Verkäufer ihre handwerklich hergestellte Burritos, Burger und auch Spareribs aus dem Smoker-Ofen abzugeben hatten. Allerdings gab es auch Lebendware zu betrachten. So wurde in einem von unten her beheizten Stallgefährt eine kleine Herde süßer Ferkel ausgestellt, die dort um einen Futtermehldispenser geschart mit friedlichem Gesichtsausdruck schlief. Die Tierkinder waren, obschon recht riesig, gerade mal drei Monate alt, wie die Craft-Züchterin zur Auskunft gab. Eine zeitgenössische Wiedergängerin der Madame Bovary äußerte, dabei auf die Hinterteile der in makellosen Marzipannuancen dargelegten Schweinchen deutend, ihren für die Besucher einer landwirtschaftlichen Ausstellung obligatorischen Zweifel an der artgerechten Aufzucht dieser Burger in spe: »Warum sind denn die Schwänzchen derart kurz!«

»Berechtigte Frage« sagte die Züchtersfrau. »Die wurden nach der Geburt gekürzt.«

»Aha!« rief Madame Bovary 2.0 und schaute hart, aber fair in die Runde, die außer uns aus lauter Kindern bestand, die teils versonnen an ihren Schnullern saugten wie Maggie Simpson, bloß halt nicht in gelb.

Die Versicherungen der Züchterin, dass sich in den Endstücken der Schweineschwänzchen keinerlei Schmerzrezeptoren befinden, diese also quasi wie Wurstzipfel avant la lettre zu behandeln sind – und: behandelt werden dürfen, brachten nichts zum Einverständnis. Die Bovary hatte ihren Punkt gemacht.

Drinnen dann, in den Hallen, ging es weniger ländlich zu als erhofft. Vor allem viel Tinnef, und wenn artisanale Lebensmittel, dann Senf, Würste oder Honig. Und Schnaps. Wie im Mittelalter! Erfreulich allerdings die Initiative des Lippischen Kulturmarketings, der einzigen Spezialität der seit unserem Bielefeld-Aufenthalts auch uns sehr am Herzen liegenden Kulturlandschaft des äußeren Ostwestfalens, dem sogenannten Pickert, zu größerer Beliebtheit zu verhelfen. Ein Greis verkaufte die zur Zubereitung des nahrhaften Fladens nötige Mehlmischung in handlichen Säcken zum günstigen Preis. Eine Pickertkönigin, Lisa die Erste, die leider nicht angereist war, grüsste von einem Plakate her mit dem für Ostwestfälinnen typischen Blütenkranz auf dem flachsblonden Schopf; einen Stapel Pickertfladen, wie amerikanische Pfannkuchen auf dem Präsentierteller ihrer Hand.