10.11.

Merkwürdig, dass wenn jemand mit der Zeit in eine andere Zeitzone verreist, dort also mit einer anderen Tageszeit sozusagen mir voran lebt, und die Nacht, die dann zu mir kommt, dort bereits schon war, dass ich dann das Gefühl habe, die Zeit verginge insgesamt für uns auch auch schneller, bis wir uns wiedersehen. Seltsam, aber gut.

Beim Abendessen erklärte mir Jan anhand der Opernmusik, die lief, was ein Melodram ist. In der Oper wohl, anders als im Film, eine Form, in der die eine singt, die andere spricht. Konnte ich besser finden, also angenehmer als Oper sonst. Dann sagte Jan, das mit Trump sei für ihn wie Liebeskummer. Es käme wie in Wellen über ihn, wie die Erkenntnis, dass er verlassen worden sei, und dann müsste er bei jeder neuen Welle wieder und wieder begreifen, dass es doch wahr ist. Da war es längst dunkel und ich hatte erst kurz davor davon erfahren, weil ich den ganzen Tag lang das Haus nicht verlassen hatte, mich niemand angerufen hatte, ich Twitter nicht angeguckt hatte, auch sonst keinerlei Internet. Aber als ich im Frostschutzparka zum Abendessen ging, blinkte auf der Clayallee eine der Werbetafeln auf und zeigte statt einer Werbung für Chile als Reiseland das Gesicht des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten (ein Radiosender kündigte seine Sondersendungen an).

Nach dem Essen, auf dem Weg zum Auto, pflückte ich von der Rankpflanze ein riesiges gelbes Blatt ab, das lange Zacken hatte und im Schein der Straßenlaterne fast weiß leuchtete. Und ich sagte zu Jan: »Das ist doch mal ein Blatt«. Und er schaute drauf, als sähe er es gerade erst (dabei rankt die Pflanze doch rechts seiner Haustür empor): »Wie Trumps Hände«.

Na ja, der war noch nicht so gut, aber ein paar Minuten später machte er dann noch einen wirklich guten Witz, den ich aber leider nicht mehr weiß, weil wir dann Bier tranken und ich ihn mir nicht aufgeschrieben hatte. Heute früh noch in allen Taschen nach dem Blatt gesucht, aber es ist leider weg. Raureif auf den Wiesen und auf dem Steg.