10.12.

»Kanzi® ist ein erfolgreicher Apfel, der durch seinen hervorragenden Geschmack überzeugt. Die Süße und der knackige Biss von Kanzi® sind unvergleichlich. Wer einmal diesen exquisiten Apfel gekostet hat, wird begeistert sein«, so steht es in weißer Schrift auf dem schwarzen Karton, in dem vier Stück des Apfels Kanzi® zum Kauf angeboten werden. »Zögern Sie nicht…probieren Sie Kanzi®.«

Der Apfel schmeckt okay. Sympathisch, frisch. Es gibt eine eigene Website (kanziapple.com), auf der Apfelrezepte und ein paar Informationen zur Züchtungsgeschichte zur Verfügung gestellt werden. Hier, in der Stadt des Apfelweins, interessiert das selbstverständlich. Aber sonstwo? Legt man den erfolgreichen Kanzi® übrigens falschrum hin, also auf den Stiel und nicht auf die Blüte, dann fängt er dort nach zwei Tagen kreisrund rings um den Stielansatz an zu faulen, wie alle anderen Äpfel auch. Gegen die Reifungsgase ausdünstenden Bananen und Zitrusfrüchte in seiner Obstschale ist auch der Kanzi® noch nicht immun und reift unweigerlich mit allen anderen mit. Und wer die Züchtungsgeschichte gelesen hat, wird einigermaßen enttäuscht sein, wenn er so drauf ist wie ich, denn der sirihafte Ton des Textes verheißt ja zumindest die Ankunft eines Retortenapfels à la synthetische Schlange, aber tatsächlich ist der Erfolgsapfel halt doch bloß eine Frucht vom primus malus, gekreuzt aus den Sorten Gala und Braeburn.

Gestern sprachen wir länger über basale Erfahrungen und wie sie vermutlich unsere Abneigungen und Vorlieben geprägt haben werden. Auch kulinarisch: Ich stamme aus einem Apfelanbaugebiet, der Apfelsaft aus Heimerdingen gehört, nach wie vor in der Fabrik der Familie Bayer ausgepresst, zu den besten der Welt. Finde ich, aber das hat vermutlich mit meinem ersten Trinkerlebnis zu tun; mein erster Apfelsaft war einer aus Heimerdingen und so müssen seit jeher sämtliche Apfelsäfte sich mit jenem tiefgoldenen und muskatgefärbten Nass aus Heimerdinger Streuobstwiesenäpfeln (und ein paar Birnen pro Liter, denn es wird noch immer von Hand sortiert und irgendwann muss man halt auch mal niesen, oder vom Vesperbrot abbeißen dürfen) sozusagen messen. Wohinein auch spielen dürfte, dass ich mir meine ersten Mark in den Schulferien als Sortierer und Entlader von Traktoranhängern und später auch Lastwagen bei den Bayers verdienen durfte. Einmal, da war die Ernte schlecht gewesen und man hatte einen Lastwagen voller Äpfel aus Belgien bestellt, da schwamm im Wasser des Sortiergrabens ein Feinrippunterhemd an mir vorbei. Und, jung und dumm wie ich war, stellte mir vor, wie der Geschmack des ausgepressten Feinrippunterhemdes so ganz fein und leicht, subtil, wie ich es heute nenne, in den Säften einer bestimmten Charge herauszuschmecken sein würde.

So wird es dazu gekommen sein, dass ich den Anblick nasser Äpfel, vor allem den Anblick von Äpfeln im Frühtau zwischen Grashalmen, insbesonders wenn es grüne mit dünnen roten Streifen und einigen dunklen Flecken sind, schön finde. Ja, dass mich dieser Anblick sogar mit heimatlichen Gefühlen beschickt zurückzulassen schafft. Und als ich 1998 zum ersten Mal die Buchmesse besuchte, sah ich im von gelblichem Scheinwerferlicht bestrahlten Innenhof einer Sachsenhausener Apfelweingaststätte auch auf einen großen Haufen nasser Äpfel, die dort zu einer vagen Pyramidenform aufgeschüttet lagerten. Nur so, also im Anblick dieser nassen Äpfel dort in Sachsenhausen, konnte ich wohl diesen folgenden Abend dort überstehen. Der Apfelwein selbst ist nämlich fürchterlich. Und das gestern wie heute: er schmeckt einfach grässlich. Noch nicht einmal abstoßend, sondern gar nicht. Sauer und fad. Ich bin aber sowieso nicht dafür, dass man, wie Carl Schmitt es in liebevoll tadelnder Absicht über seinen fehlgegangenen Schüler Gerhard Nebel schrieb, »gleich Neptun anruft, wenn man einen Brathering vor sich hat«. Den Kölnern ihr Kölsch, den Mexikanern ihre Pulque lautet meine Devise. Hesse ist, wer Hesse sein will, so lautet bekanntlich die Zinnsche Definition des Hessentums; das Apfelweingutfinden fällt da bereits unter den Tisch.

Im Rahmen meines mittlerweile extrem großen Rindsworscht-Tests probierte ich auf dem Weihnachtsmarkt sogar den sogenannten Heissen, also einen Glühapfelwein, dessen namensgebende Erhitzung (man spricht es sympthischerweise wie Hase aus!!!) mir aber in den Worten meines unseligen Mathematiklehrers (Manfred Deschner! Das war eine Type – müsste ich glatt mal eigens beschreiben, es klänge wie ausgedacht, also literarisch as hell) als veritable Verschlimmbesserung vorkommen wollte. Apfelwein und ich: we don’t match. Dass auch das regionale Bier aus der Brauerei Binding nichts taugt, dieses Fass lasse ich lieber zu. Doch soll ein Spezialfall, der uns im anmutigen Ambiente der Marktstub‘ in der Kleinmarkthalle zur Bratwurst serviert worden war, nicht unerwähnt bleiben: Der frische Apfelmost der Kellerei Haas, zuletzt im Jahre 1978 mit einer Bronzemedaille der DLG e.V. ausgezeichnet, schmeckt im Vergleich zu den übrigen Erzeugnissen der Apfelweinszene hier schlaraffisch, kommt aber leider noch nicht einmal annäherungsweise an die Produkte schwäbischer Mostkellereien heran. Und, aber da bin ich wie gesagt frühkindlich geprägt: Über all diesen Flüssigkeiten schwebt, einem Wasser über den Wassern gleich, der Heimerdinger Apfelsaft im goldenen Ornat.