11.12.

Schönes Datum heute, aber Zahlen lassen mich ungerührt. Wenn unsere Zeitrechnung hingegen mit Buchstaben notiert würde Punkt, Punkt, Punkt.

Trübe Aussicht, zwar kein Nebel, aber der Himmel scheint aus ausgeleierten Schläuchen zu bestehen, gefüllt mit nassem, grauem Material (man will es nicht wissen, was es ist; also ich). Bloß einmal geradeaus auf ungefähr zwei Uhr gibt es eine rundliche Öffnung, dahinter leuchtet das Himmelblau. Den einzig schönen, weil überhaupt sichtbaren Sonnenaufgang gab es, seitdem ich hier bin, gestern. Bald darauf war im Internet schon beinahe eine Mannigfaltigkeit von Aufnahmen des in zarten Farben getönten Morgenhimmels, vor allem halt gespiegelt in den Hochhäusern des Bankenviertels, durchzogen von wie Kreidestriche anmutenden Kondensstreifen, aber auch reflektiert von dem vom Nachtregen glänzend gemachten Asphaltbelag der Straßen, hier insbesondere als ein Motiv begehrt, sobald darüber eine S-Bahn-Brücke Sonnenschatten spendete, es dahinter aber himmlisch rosa ward.

Diese Technik, von der ich neulich in der Zeitung las, Apple hat sie bereits an Konzertveranstalter vermarktet, scheint vom Prinzip her aus einer Art Störsender zu bestehen, der bestimmte Funktionen des iPhones auf Kommando lahmlegen kann (also während des Aufenthalts an einem Veranstaltungsort beispielsweise die Kamerafunktionen des Smartphones). Sie wird dann auch von Neuschwanstein aus, in den Häfen von Bilbao und Sidney, vom Berliner Fernsehturm herunter und im Frankfurter Bankenviertel betrieben werden. Kaum scheint die Sonne, kaum geht sie mal ansehnlich unter oder auf, wird das Fotografieren des Schönen kostenpflichtig. Man lässt die Motive per App freischalten, um sie fotografieren zu können. Auch schöne Menschen, also beispielsweise solche mit einem malerisch zerfurchten Gesicht wie Samuel Beckett, oder sein Verkörperer in dem Videoclip von Killing An Arab, werden sich einen dieser Störsender implantieren lassen. Die interessanten Tiere im Zoo auch, klar. Das Schöne angucken bleibt aber bis auf Weiteres kostenfrei.

Sehr toll wird dann freilich die Gegenbewegung, betrieben von den Leuten, die absichtlich nur das Unansehnliche, das also offiziell Unschöne, beziehungsweise nicht Fotografierenswerte fotografieren und ihren Anhängern zur Verfügung stellen werden. Aus Trotz, vielleicht auch noch schnöder: Aus Geldmangel wird diese behauptete Schönheit dann zwangsläufig zu einer etablierten sich mausern. Möglich, auch wenn es mir gerade zu komödienhaft vorkommen will, dass die durch solche Aufnahmen zu Gesellschaftsruhm und folglich auch zu Wohlstand gekommenen Künstler, dann wiederum ihre einst unansehnlichen Motive zu kostenpflichtigen Sehenswürdigkeiten codieren mithilfe der Störsender-App. Woraufhin dann das Bankenviertel bei Sonnenuntergang mit einer eigens produzierten Imagekampagne als Classic Sight beworben werden wird; man befände sich in einem Wettbewerb mit Capri, der Insel und dem Central Park zu Zeiten des Indian Summer.

Seitdem ich hier auf dem Weihnachtsmarkt die erste gebratene Rindswurst am Stand des Eberhardt gekauft, ging es mit meinem großen Rindswurst-Test bloß noch bergab. Beispielsweise ging ich in der Kleinmarkthalle beinahe achtlos an einem Stand vorbei, weil ich von dort keine Bratdüfte hatte vernehmen können. Bloß um hinterher zu erfahren, dass ausgerechnet dort heiß gemachte Fleischwurstringe verkauft würden, deren gewünschte Abschnittslänge die Kunden vermittels einer pantomimischen Geste aus schieblehrenhaft zueinander parallel gehaltenen Handflächen anzuzeigen aufgefordert waren.
Ein Sample, geholt bei Erich Zeiss, bestehend aus einer traditionellen Rindswurst und seiner pikanten, brachte kaum so viel Neues – Zeiss führt seine Stadtmetzgerei seit dem Schicksalsjahr 1908 –, dass ich noch Lust verspürte, weitere Rindswürste probieren zu wollen.
Das Packaging der als Jahrhundertmetzgerei gepriesenen Sachsenhausener Institution Gref-Völsing – übrigens von zwei Frauen geleitet, von denen eine Friederike heißt; außerdem wurde im Schicksalsjahr 2009 eine Straße im Frankfurter Ostend in Gref-Völsing-Straße umbenannt – ist ein Hammer. Die Würste: freilich auch. Wobei mir beim Abbeißen von den Gref-Völsingschen Rindswürsten der für mich besonders ärgerlicherweise von Bertolt Brecht stammende Klassiker des Mansplaining in den Sinn kam, nämlich dass es sich bei Enttäuschung um ein Produkt von Selbsttäuschungen handeln wird. Es spielt im Falle GV vermutlich stark der historische Fakt hinein, dass die Eheschließung des Schlachtermeisters Karl Gref am Tag seiner Firmengründung vollzogen wurde. Beziehungsweise verhielt es sich aus seiner und seiner Ehefrauens Sicht halt exakt umgekehrt: die Wurstfabrik wurde eröffnet, die Ehe geschlossen. N’importe quoi.

Lustig war es aber auch. Beispielsweise als wir auf dem Markt im Kaisersack noch früh am Morgen eine Rindsbratwurst bestellten, der sogenannte Vogelsberger so eine aber noch nicht fertig hatte. Das allein noch nicht, aber als er dann in die uns als Ersatz angebotene Käsekrainer pikste, spritzte die ihm ihren heißen Käsesaft ins Aug‘! Gottlob ist der Hesse an sich gemütsruhig. Gemeinsam wurde dann noch viel gelacht.