12.10.2019

Ein taiwanesisches Restaurant, ganz klein, das seit vorgestern hier um die Ecke eröffnet hat und in das ich dann gestern abend noch unbedingt gehen musste, weil ich noch nie taiwanesisch essen war — zumindest bewusst nicht; auch selbst noch nie in Taiwan gewesen: in den Räumlichkeiten, eigentlich ist es nur ein einziger, dafür sehr langer Raum, hatte sich bis kurz vor Vorgestern das chinesische Restaurant befunden, das auf Nudeln spezialisierte. Die Einrichtung wurde von den Taiwanesen übernommen wie gehabt, sodass ich auch beim genaueren Hinschauen nichts spezifisch Taiwanesisches entdecken konnte. Auf der Karte, so kam überhaupt mein Wunsch zustande, werden seitenweise gedämpfte Teigtaschen angeboten. Ich bin für dieses Thema zusätzlich sensibilisiert worden durch die Berichte von Stephan Löwenstein, dem Wienkorrespondenten offenbar, der in der Zeitung vor ein paar Wochen über eine sogenannte Teigtascherl-Affäre berichtet hatte. Dabei ging es wohl um illegal in zum Wohnen vermieteten Mietswohnungen betriebene Küchen, in denen, womöglich ebenfalls illegale, Chinesen zu dutzenden an langen Tischen hockten, um im Akkord die in Österreich sogenannten Teigtascherl herzustellen, mit denen dann die umliegenden Chinesischen Restaurants der Hauptstadt beliefert wurden. Von Hintermännern selbstverständlich. Das Thema wurde dann von der Wahl in Österreich erdrückt oder verdrängt, aber bei unserem Aufenthalt in Heimerdingen deutete mein Vater an, der Betreiber des Chinesischen Restaurants, in das sie gerne gehen, hätte ihm gegenüber angedeutet, dass er wiederum seine aus Karotten, weissen Rettichen und Rote Beete geschnitzten Dekorationstiere, ein chinesisches Pendant zu unserer Ratsherrengarnitur, von einem Privatmann, schwäbischer Chinese wie er selbst auch, bezöge. Eine Geschichte, die leider zu schön war, um sich bewahrheiten zu dürfen. Als wir dann dort endlich sassen und assen, fragte ich den alten Chinesen am Schluss des Abends nach einem Kontakt zum Gemüseschnitzer. Aber er lächelte bloss, wie es dann gerne heisst: unergründlich. Und behauptete, all die Kraniche, Schwäne und Störche würden bei ihm hinten in der Küche hergestellt.

Ein Aquarium haben sie übrigens nicht in dem taiwanesischen Restaurant, das nach der Stadt Tao Yuan benannt ist. Kommt entweder daher, dass die Taiwanesen nicht gar so sehr auf Dekoration durch Aquarienfische erpicht sind, oder es ist profanerweise deshalb so, weil auch schon die Vormieter, eben jene Chinesen mit den Nudeln, kein Aquarium aufgestellt hatten. Ich dachte bloss, weil mich Sam Sifton auf einen wunderlichen Film hingewiesen hatte, in dem ein Forscher seinen Oktopus im Aquarium nachts beim Schlafen gefilmt hat. Und dieser Oktopus, der Heidi heisst, träumt. Das kann man daran klar erkennen, dass er, während er mit manierlich eingerollten Tentakeln in einem Winkel des Aquariums haftet, sich andauernd umfärbt. Erst wird er sandbraun, dann bekommt er Flecken und ähnelt einem von der Sonne beschienenen Meeresgrund. Dann wieder wird er ganz hell, dann huschen streifenhafte Formen über seinen Leib. Vergleichbar mit Hunden und Katzen, die im Schlaf plötzlich knurren, oder mit den Pfoten zucken, weil sie von einer Verfolgungsjagd träumen. Beim Oktopus wird das psychische Traumgeschehen von der Haut ablesbar. Diese Tiere sollen ja auch sehr intelligent sein. Noch intelligenter als Hummer. Wobei jetzt natürlich auch ein Disput entbrannt ist zwischen Meeresbiologen (oder -zoologen), weil nicht alle diese These schlucken wollen, dass Heidi träumt wie wir. Andere glauben auch, dass es sich bei den Umfärbungen ebenso gut um epileptische Entladungen der Camouflage-Funktion handeln könnte. Wobei: Was bitteschön ist denn unser Träumen gross anderes?

Die Teigtascherl der Taiwanesen mundeten mir übrigens ausgezeichnet. Ganz dünn und zart der Teig, würzig gefüllt und vor allem in einer roten Chilibrühe serviert, die mit viel Zitrone appetitanregend angespitzt war. Zwei asiatisch anmutenden Frauen am Nebentisch wurde indes eine Spezialität des Hauses serviert. Dabei handelt es sich um ein kleines, rundes Fladenbrot, das in zwei Halbmonde geteilt wurde und nach Art eines Döners mit Hackfleisch gefüllt. Die Frauen nahmen sich je einen Halbmond aus dem eigens dafür erdachten Ständer und kosteten. Zaghaft. Beinahe spitzfindig. Ihr Unbehagen ward für mich spürbar, weil sie ihre Stäbchen nicht zum Einsatz bringen konnten. Die mit dem Gesicht zu mir her sass, betrachtete andauernd mit Grausen ihre Fingerspitzen, an denen wahrscheinlich ölige Spuren hafteten. Man kennt diese Aversion durch Fremdstoffe auf der Haut von kleinen Kindern unter drei Jahren, wenn die äusseren Grenzen noch nicht verinnerlicht sind und ein Tintenfleck noch wie eine körperliche Veränderung erscheinen muss. Kann Stundenlanges Händewaschen zur Folge haben. Und wahrscheinlich gibt es das bei Kindern in China und Taiwan in ungefähr ähnlicher Form auch so, wenn jemand ihnen die Essstäbchen anmalt.

Seife gibt es ja überall.