12.12.

Abschied von Frankfurt (der Goethe-Stadt): Um 7 Uhr ist es noch dunkel, aus dem Dach eines gegenübergelegenen Industriegebäudes quillt heller Dampf wie eigens hinterleuchtet. Darüber fliegt auf gerader Bahn und blinkend ein Stern vorüber in Richtung des Flughafens. Wolken dunkler als der Himmel, wie Schatten. Einzelne Fenster sind schon erleuchtet. Im Haus ist es still. Die Heizkörper klopfen.

Und plötzlich, gestern dann: das Lied einer Amsel. Hoch oben in einem nackten Baum vor einem irgendwie bedrohlich zartvioletten Himmel, der ansonsten frei von Wolken war. Aber ein paar Minuten später fing es mit großen warmen Tropfen zu regnen an. Beim Abendspaziergang durch die Taunusanlage ergeben sich zu allen Seiten hin die reizendsten vertical views, die in Manhattan als Sonderfunktion einer Wohnung ausgeschrieben werden (und sie dementsprechend teurer machen). Aneinanderstoßende Spiegel, Leuchteffekte, Verzerrungen der ineinander sich spiegelnden Spiegel, dazwischen ein ganz kleines Gebäude im historischen Stil. Neben dem Eingang zu einem Kunstmuseum war der ringsum verglaste Empfangsraum eines Hochhauses so eingerichtet, dass dort hinter einem breiten Tresen allein die Figur eines Pförtners saß; der Tresen ansonsten beinahe ganz leer und in glänzendem Weiß rein gehalten, ganz links außen zwei Vasen mit wenigen Blumen drin, sonst nichts, kein aufgeschlagenes Buch, in das die Besucher sich eintragen müssten. Selbst die Schranken, hinter denen es um die Ecke herum zu den nach oben in das Gebäude hinein führenden Aufzügen ginge, sind aus transparentem Plexiglas. Nichts, das den Genuß einer totalen Leere im Raum stören könnte. An der hohen Wand hinter dem Tresen nichts weiter als die Buchstaben, die, wie ein Bild, den Firmennamen darstellten. Hier, wo Fläche so teuer war, dass man in die Höhe bauen musste, bleibt der einzige einsehbare Raum leer, wie in Kyoto, der Kaiserstadt, die in der Mitte eine bauliche Leerstelle hat. Mark Wigley bezeichnet die Hochhäuser Manhattans als manifestation of greed.

Frankfurt, knapp 750 000 Einwohner, aber wie Goethe es über Bethlehem geschrieben hatte »so klein und doch so groß«, hat tatsächlich dieses Beieinander von protzig und bescheiden bis ärmlich und wieder zurück, das in den Artikeln über Berlin (die Hauptstadt) so lange beschworen wurde, bis es zumindest in Berlin selbst niemand mehr noch einmal lesen wollte – weil es ja einfach nicht stimmt. Es sei denn, man machte während der Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, PKW oder Fahrrad die Augen fest zu. Während des Transfers von der einen sozialen und architektonischen Situation zur anderen, ändert sich dort nämlich allerhand. Die Gegensätze sind da, aber sie wirken nicht krass, weil es kein Stadtviertel gibt in Berlin, wo ich beispielsweise am Potsdamer Platz rechts abbiege und schon bin ich aus einem Areal spiegelnder Türme auf einer Meile des Elends gelandet, wo sich vor einer Kulisse aus sogenannten Laufhäusern mit rosafarben beleuchteten Fenstern die dubiosen Gestalten auf der schummrig beleuchteten Straße gegenseitig drangsalieren (und dann, ein paar Schritte weiter, leuchtete die schaumig geformte Fassade des Hauptbahnhofes). Das »Groß-Stadt-Getrie-hie-be-he«, mit dem Udo Jürgens seine Glissandi begleitete (in Siebzehn Jahr‘, blo-hondes Haar), hier: ist alles zusammengedrängt und zu einer Koexistenz gezwungen, in Berlin gibt es das alles zwar auch, aber es existiert entzerrt auf das Stadtgebiet verteilt und wirkt dadurch beinahe geordnet (man taucht auf und ein). Frankfurt wirkt dadurch filmhaft beim Hindurchspazieren, Berlin wird erst im Schnitt zu diesem Film, den alle schon so oft gesehen zu haben meinen oder glauben. Und das in etwa seit Drei Damen vom Grill.