12.3.

Im Mittelbau seines Werkes, angefangen mit Der Chinese des Schmerzes bis hin zu Der Bildverlust, geht es Peter Handke um die Problematik der Schwelle. Das Spektrum der Empfindungen gegenüber Schwellen aller Arten - Türschwellen vor allem, aber auch in der Natur vorgefundene, also schwellenartige Felsformationen, Senken, quer über einen Weg oder Pfad verlaufende Wurzeladern, Wasserläufe und dergleichen mehr, mit denen seine Erzähler und Erzählerinnen sowie Figuren, von denen erzählt wird, sich in den Erzählungen Peter Handkes konfrontiert finden - reicht von Schwellenfurcht bis Schwellenlust. Mal wird die Schwelle gescheut und mal wird sie besungen.

Das wird nicht jeder Handkeforscher bedeutsam gefunden haben. Ich schon. Aus persönlichen Gründen, denn so etwas wie eine Schwellenfurcht kenne ich wohl. Vor allem rührt meine von einer Angst vor allem Neuen und vor Veränderungen, die ich in beiden Fällen – Anschaffungen und damit einhergehende Veränderung meiner Umgebung; Veränderung meiner Rituale durch das Benutzen neuer Kultgegenstände – unnötig finde und von daher auch zu vermeiden suche, wo es nur geht.

Es handelt sich dabei aber tatsächlich um bloße Schwellenfurcht, denn sobald das Gefürchtete dann hinter mir liegt, also eine neue Zahnbürstensorte gekauft wurde, der Besuch nicht bloß vor der Tür steht, sondern bereits Platz genommen hat und zu erzählen beginnt, ist durch mein Überspringen der Schwelle alles gut. Und wie es in dem Bild von der Schwelle heißt, liegt dann alles Fürchterliche hinter mir. Es lässt sich betrachten wie durch den gedachten Türrahmen ohne Tür, dem die gefühlte Schwelle zuunterst lag und die Gefühlswelt auf der anderen Seite beinhaltet auch diese Furcht. Aber sie bleibt durch die Schwelle gebannt und lässt sich betrachten, vermag aber nicht über die Schwelle herüber und durch den Rahmen ins Diesseits hinein.

Jahrelang habe ich, in einer Verweigerungshaltung verharrend, ein Telefon aus dem Jahr 1998 benutzt. Mit dreifach belegter Tastatur und milchigem Display. Das Nokia 6310 ist extrem formschön, es liegt gut in der Hand, aber in letzter Zeit häuften sich die Probleme. Neulich verschlief ich einen Anruf der Muse, weil es irgendwie falsch, vielleicht auch nur zu leise klingelte. In Paris erhielt ich über Stunden weder Anrufe noch Nachrichten. Oft ging es auch mitten in Gesprächen einfach aus. Alles nicht schlimm, aber irgendwann muss man sich auch mal entscheiden.

Als ich gestern am Alexanderplatz vorbeikam, holte ich tief Luft und hielt diese an, bis ich die Filiale von Vodafone betreten hatte. Man kümmerte sich sehr lieb um mich. Es gibt keine Telefone mit Tasten mehr, und als ich meine Bedürfnisse schilderte, Ansprüche auch, wählte die extrem sanft verhandelnde Kundenberaterin ein Modell aus, das sich sowohl durch eine extrem klare Übertragungsqualität auszeichnete, dazu noch wohlgeformt war und, so behauptete sie zumindest: unzerstörbar sein sollte.

Mal schauen.

Wenn Daniel Dennett Recht hat, und es sieht ja extrem danach aus, dass er Recht behalten wird, dann sind Telefone und Computer eben längst keine Geräte mehr, sondern es sind Kolonien unseres Bewusstseins. Als die Verkäuferin mich darauf hinwies, dass dieses Gerät sogar wasserdicht sei, und ich damit unter der Dusche telefonieren könnte, nickte ich, sagte »Klaro« und wunderte mich nicht.

Da war die Schwelle längst gebannt und erledigt und ich trat, den Laden unter den Gleisen verlassend, in eine neue Gefühlswelt ein.

Im Gehen tippte ich die Nummer der Muse, die Glasplatte quittierte jede Zahl mit einem energischen Pulsen, das fand ich schon mal extrem gut. Was dann geschah, war exakt so, bloß noch heftiger, wie damals, als Christian Naujoks im Berghain Do It Again von Steely Dan über die große Anlage laufen ließ.

Der Klang einer Stimme als inneres Erlebnis.