12.4.

Gestern versehentlich in die Ringlinie der S-Bahn eingestiegen. Nach ein paar Stationen bemerkte ich den Fehler, weil die Häuschen auf den Bahnsteigen alle auffallend hübsch kariert aussahen. Das Wetter war schön und ich dachte: »Jetzt steigst du einfach in Schöneberg aus und gehst noch einmal den Weg, den du im letzten Jahr an jedem Tag gegangen bist.« Bevor es Winter wurde.

Dazu machte ich die Playlist an, die damals noch kurz war, und auf der Dominicusstraße setzte das erste Lied ein. Im Vorbeigehen schaute ich in die kleine Seitenstraße, in der damals meine Wohnung, die vor der mit dem Blick auf den Fernsehturm, gewesen war. Vor dem Spätkauf saß der Hausmeister in seinem Rollstuhl, rauchte und schlürfte Milchkaffee aus seinem Thermosgefäß. Er hat nur ein Bein, und einmal, als ich bei ihm klingelte, da sah ich im Hintergrund seine Prothese wie ein Podest für Blumen oder für einen Farn mitten im Raum stehen.

Dann weiter zu auf die Hauptstraße. Auf der Rückseite der Apfelkisten vor dem türkischen Supermarkt stand noch immer Haupt und noch immer nicht Bowie. Birne heißt Armut im Türkischen.

Und jetzt sang George Harrison nicht mehr von der Vergangenheit, sondern von meiner Gegenwart, denn der long cold winter war endlich vorbei.

Der Laden mit den Würsten. Gegenüber, am Anfang der schönen Akazienstraße, das Souterrain IV, um diese Zeit geschlossen. Vernünftigerweise. Wo ich jetzt wohnte, gab es überhaupt keines, was schade war, aber auch interessant. Also dass es solche Gegenden überhaupt gab in Berlin.

Der langgestreckte Fischladen, das schöne Antiquariat, und dann noch immer dieses Schild an dem Kippfenster der Steuerkanzlei: »Bitte führen Sie keine Unterhaltungen vor diesem Fenster, wir hören das hier drinnen lauter als sie draußen« – ein akkustisches Mysterium. Überprüfen ließe es sich schlecht.

Erbaut von Bruno Paul 1929 – 1930: Das schöne Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand noch immer leer, aber der Obdachlose, der dort im Eingangsbereich gelebt hatte, verschanzt hinter Müllsäcken und einer Mauer aus leeren Erdnussdosen, war nicht mehr da. Die Tüten auch fort. Selbst seine Dosenmauer war weg, dafür lagen dort vier Hohlblocksteine aufeinandergestapelt. Vielleicht war er in Yton reinkarniert.

Die Galerie war geschlossen, Alfons nicht da, aber im Seifenladen freute man sich, mich zu sehen. Kiefer leider ausverkauft, also Lavendel. Die war von einem anderen Grün. Im Eingangsbereich der Acne Studios war eine hübsche Skulptur aus Megaphonen, viel Kabel und Krokodilklemmen aufgebaut. Bei Fiona Bennett schaute die Modistin melancholisch aus dem Fenster und durch mich hindurch.

Auf der Gedenktafel an der Brücke wurde an den russischen Soldaten erinnert, der hier im April 1945 unter Einsatz des eigenen Lebens ein Kind aus der Feuerzone gerettet hatte.

Leipziger Straße, Leipziger Straße, Leipziger Straße. Die Playlist hielt tatsächlich noch sehr viel länger als nur bis zum Potsdamer Platz.

In der Redaktion alle freundlich, die Art Direktorin hatte Rhabarberkuchen gebacken. Dann Flow, Telefon, E-Mail, »Bis morgen« und auf demselben Weg zu Fuß wieder zurück. Wer durch das rabbit hole reinkommt, kommt nur durch das rabbit hole wieder heraus.

Im panasiatischen Supermarkt Asia – sinds 1986 bei den Jubiläumssonderangeboten beherzt zugegriffen. Auf den Rückseiten der Apfelkisten stand noch immer Haupt.