12.7.

Kaum breche ich ein einziges Mal für ein paar Tage mit dem Ritual meines Tagesablaufes, passiert in meiner Abwesenheit etwas Spektakuläres. Jedenfalls behauptet die Gemüsehändlerin, dass dem so war. Wir hatten uns, aufgrund meiner neuen Angewohnheit, den Kaffee daheim zu trinken und nicht in dem kleinen Café auf dem Bahnhofsvorplatz gegenüber, ein paar Tage hintereinander nicht mehr gesehen.

Zunächst war mir die Veränderung nicht aufgefallen. Sie stand wie üblich hinter ihrem Stand vor dem tiefgrünen Hintergrund aus Efeu und alten Bäumen, die aus dem Bombenkrater ragen. Näherkommend, ich hatte von ihren herrlichen Gurken kaufen wollen, bemerkte ich die Haufen von Baumstücken, die rings um sie gelagert waren. Von rot und weiß gestreiftem Absperrband der Feuerwehr umwickelt.

»Ja«, rief sie mir zu, wie um mich anzulocken, »Ja, kommen Sie nur. Schauen Sie sich das bloß mal an«.

Es war also, morgens um acht Uhr übrigens, wenn ich üblicherweise dort nebenan vor dem Café die Zeitung aufschlug, so gewesen, dass sie da gerade, wie an jedem Morgen, aus ihrem auf der gegenüberliegenden Straßenseite abgestellten Wohnmobil die Gemüsekisten herübergetragen hatte, und auf der Verkaufsfläche ihres überdachten Marktstandes verteilte. Den Abschluss dieser den Verkaufstag vorbereitenden Arbeiten hatte, wie an jedem Morgen der Saison, in dem Aufstellen des schmalen Tischchens mit den in Eimern gefüllten Salz-, Senf- und Gewürzgurken aus dem Spreewald bestanden. Dieses Tischchen hatte sie, seiner Stabilisierung wegen, seit eh und je gegen den Stamm der neben ihrem Stand aus dem Asphalt strebenden Linde gelehnt.

»Plötzlich merke ich, wie sich unter meinen Füßen der Boden bewegt, ganz langsam. Und ich schaue runter und sehe, wie sich der Asphalt öffnet. Und das Tischchen mit den Gurken kippt um.«

Sie springt zur Seite, sucht Zuflucht hinter ihrem Gemüsestand und sieht von dort aus dabei zu, wie der Lindenbaum über die vierspurige Straße fällt. Sie ruft die Feuerwehr.

Wundersamer Weise wurde niemand verletzt. Das Zerlegen des Lindenbaumes dauerte vier Stunden. In dieser Zeit blieb der Verkehr inklusive der Busspuren beidseitig gesperrt, was nicht alle Verkehrsteilnehmer einsehen wollten. Ein Baumforscher untersuchte den Lindenstamm und fand dabei zweierlei heraus:

a) Der Stamm war von innen heraus verfault. Kurz vor dem Aufstellen des Gurkentischchens waren ihm auch noch die letzten Wurzeln zerfallen. Dadurch gab es für ihn keine Möglichkeit mehr, sich im Grund zu verankern und oberhalb in einer Senkrechten zu halten.

b) Der Baum wurde 130 Jahre alt. Er war also viel älter noch als der Bombenkrater.