13.1.2019

Es stimmt übrigens überhaupt gar nicht, dass es hier im deutschsprachigen Internet »überall nur so wimmelt« von Tagebüchern. Ich beschäftige mich ja jetzt schon seit ein paar Jahren mit dieser Sache und: bis dato kenne ich original* genau drei Stück, deren Fortgang ich dann auch täglich verfolge: Kemp, Klink, meines natürlich und seit neuestem: Haupt.

Warum aber ausgerechnet Klink, mag sich da jetzt der Leser fragen. Nun: Mich interessiert das Kochen. Einerseits. Zudem ist Vincent Klink nicht allein Schwabe, wie ich, sondern wahrscheinlich auch der letzte gute Koch, der sich darüberhinaus in seinem Metier auch für Literatur interessiert.

Und so kommt beides zusammen: mir ist nämlich aufgefallen, dass es unter den Menschen, die eigentlich meine Leser sein müßten, erschreckend viele gibt, die überhaupt gar nicht mehr wissen, wie das gehen soll: Kochen. Und dass es unter den vielen Köchen unter meinen potentiellen Lesern erschreckend viele geben dürfte, die überhaupt gar nicht mehr wissen, wie das gehen soll: Lesen. Daran darf ich freilich überhaupt gar nicht denken.

Vincent nun, wir kennen uns nicht persönlich, bloß durch das Tagebuch, hat eben dort (wie es in der Philologie so schön heißt) vorgestern ein Rezept veröffentlicht für eine winterliche Suppe. Und deren Verschriftlichung erschien mir als Anlaß zu folgender Erklärung für Millenials und Digital Nomads:

Anscheinend handelt sich es um ein einfaches Rezept. Auf der Zutatenliste stehen eine Stange Lauch, Wasser, sowie Salz (und Würzl, eine Art Suppengewürz ohne Hefesubstrat; man könnte auch das übliche namens Vegeta einstreuen, oder etwas in dieser Art. Aber ich empfehle das hochwertige Würzl, ein staubiges Granulat, das man in beinahe jedem Biosupermarkt tütenweise bekommt und daheim in ausgespülte Marmeladengläser umfüllen könnte zum Bleistift.)

Blogger aufgepasst: Diese Suppe sieht halt hinterher sogar richtig super aus (laut der Website vom Farbmischer Pantone: »Das menschliche Auge sieht mehr Grün als jede andere Farbe. Die Farbe von Blättern, Gras und wachsenden Pflanzen, vollen Bäumen, saftigen Rasen und kletternden Reben, die Farbe der Wälder und des Dschungels, der Elfen und Kobolde, die Farbe Irlands und des St. Patrick’s Day: Grüne Töne treten in unserer Welt in so vielen Facetten auf, dass sie ganz unterschiedliche Stimmungen wiedergeben können.«)

Gut. Also wie rührt man diese, offenbar synästhetisch krass reinsmashende Brühe an?

Vincent Klink gibt sich bedeckt. Aber er steht halt auch schon in seinen Siebzigern und kann sich von daher kaum vorstellen, dass es mittlerweile eine fette Generation von Deutschen gibt, die nicht einmal mehr wissen, wierum man ein Messer hält. Wenn er beispielsweise schreibt, dass er besagte Lauchstange »ganz klein« schneidet, fragen sich sehr viele: wie denn genau?

Demzufolge: Wie klein jetzt, in welcher Form einer angegebenen Kleinheit—würfelig, halbmondhaft, oder etwa in diese nicht mehr für das bloße Auge erkenntliche Partikelform?

Meine Antwort, aus Erfahrung gespeist: egal. Generationen von Nachkochern wurden schon in die sogenannte Irre geführt vermittels der Anweisung etwas »in Scheiben« zu schneiden. Wobei ja jedem gesunden Mensch bei seinem Denken an Scheiben blitzhaft etwas rundlich geformtes vor Augen steht. Köche aber—seit es Kochfernsehen gibt kennt man deren Lingo und weiß von daher unbewußt, dass die auch französische Fachbegriffe aufgrund ihrer déformation professionelle wie Japaner aussprechen, also Bèchamel statt Béchamel usw,—meinen, wenn sie von Scheiben reden, grundsätzlich: Stückchen.

Die vom Lauch geschnittenen, manche werden sie gehackt haben, werden in—so rät es Vincent, dabei auf seine Faulheit rekurierend—in Olivenöl angebraten. Sanft übrigens, auch wenn noch viel zu oft und überall »schwitzen« gefordert wird. Ist übrigens ein hochinteressantes Genre: Was Köche für sich selbst nach Feierabend kochen. Aus diesem Genre stammt ja diese Rezeptur von Vincent Klink. Was essen denn diese Hochleistungsarbeiter, wenn sie zehn bis zwölf Stunden lang für andere gekocht haben? Mir hat einst Siegfried Roggendorf, den ich kurz vor seinem Tod noch sprechen durfte, folgendes verraten: Marzipan, Leberwurst, dazu Bordeaux.

Dem Rat zu den angerösteten Brotstücken, den Vincent Klink freilässt in seinem Rezept, sollte man wirklich Folge leisten. Obwohl er zugibt, sich selbst diese Gnade nicht zuteil werden zu lassen aufgrund von Faulheit nach zwölf Stunden am Herd. Die Suppe wird dadurch nämlich echt genial.

Für Fritz Schmidt-Garré

* Zitat: Moritz von Uslar