1.3.2020

Abends im Mousonturm, Theater, «Familie» von Milo Rau. Rekonstruiert wurde der letzte Abend einer belgischen Familie mit zwei Töchtern, die sich entschlossen haben, gemeinsam mit ihren Eltern in den Tod zu gehen. Vielleicht war es auch umgekehrt. Man erfährt davon nichts durch das Stück. Wie ich es mir allerdings vorgestellt hatte. Das es darin um die Psychologie geht; zumindest aber um das Gespräch, in dem die vier Mitglieder einer Familie, zwei sogenannte Erziehungsberechtigte darunter, zu diesem Schluss kommen, dass man sich en famille daheim aufhängen sollte. So blieb es für mich Theater für Leute, die nicht gern ins Theater gehen. Niemand schreit, nichts wird improvisiert und der Tomatensaucentopf wird keinem aufgesetzt, sondern bleibt da wo er hingehört, auf dem rekonstruierten Küchentisch in einem Bert-Neumann-Bungalow. Ringsum Vogelstimmen aus der Konserve, aber zwei lebende Hunde spielen mit (sich selbst) und wedeln mit den Schwänzchen, wenn die Tomatensauce in den rekonstruierten Mülleimer gescharrt wird beim grossen Aufräumen vor dem kollektiven Suizid.

In der für mich besten Szene ging es um die Formulierung eines Satzes für den Abschiedsbrief, wieder um Coda. Die Mutter erzählt ihren Töchtern dabei eine Anekdote von Flaubert.

Erzählen ist rekonstruieren. Schreiben setzt eine Mobilisierung voraus. Aus dem Stillstand ins Schwingen kommen. Am äussersten Ende der Schwingung ensteht die Schreibbewegung — bildlich an den Fingerpitzen, selbst wenn man tippt. Der Platz an dem man schreibt, trägt meines Wissens nach wesentlich dazu bei, dass diese Schwingung möglich wird. Der Platz an dem ich momanten schreibe, produktiv bin — zumindest war das gestern noch so, ist ein Tisch vor dem Supermarkt am Tel-Aviv-Platz, mit dem Rücken zum Schaufenster des Bäckereicafés und meinem Ausblick in die Europa-Allee hinein, an deren Ende wie ein Puffer quer das Plaza liegt mt seiner sich sanft windenden Fassade, auf deren bunten Lamellen in weissen, mannshohen Buchstaben einer serifenlosen Schrift das Wort Skyline geschrieben steht. Dahinter Maintower, Commerzbank, DG et cetera. Erinnerung an meinen Platz im Hotel Castell mit Blick auf die Steilwand, ans Engadin.

Das Europaviertel im übrigen kein Ort, an dem die Geschichte von «Allegro Pastell» spielen könnte, aber geschrieben worden sein, eventuell. Randt erzählt seinen Schäferroman in den Provinzen von Neukölln und Maintal. Aber ich konnte ihn vor mir sehen, wie er seinen Text in einem der mittelhohen Häuser entlang der Allee mit Conciergeservice und Fernblick schreibt.

Lieblingsstraße: Beethovenstraße, da besonders das Haus Nummer 47 mit der gläsernen Vitrine aus dem Eingangsbereich herausgebaut, in der ein mit Kieseln bedecktes Beet einen Bogenhanf beherbergt. Einen Bogenhanf! Und was noch?

Lieblingsplatz: Beethovenplatz natürlich. Mit seiner Kirche. Klein und niedrig, beinahe geduckt, die aber leider nicht Beethovenkirche heisst. Und in der Schumannstraße knospt eine Magnolie.

Der Letzte Satz bei Milo Rau übrigens «Wir haben es vermasselt, Sorry.» (Die Übersetzung war leider nie wirklich gut). Im Rest des Abschiedsbriefes ging es angeblich um Versorgung und Pflege der Hunde.