13.4.

Gestern früh, kurz nach acht Uhr, als wir auf der Danziger Straße im Stau mit Blick auf die Hochbahnstation Eberswalder Straße standen, im Autoradio lief ein Interview mit Gerrit Bartels zum Roman von Maxim Biller, machte ich Jan auf die seltsam graue Lichtstimmung aufmerksam und er sagte: »Wie in Indien.« Wir malten uns aus, eher skizzenhaft, wie das wäre, wenn wir jetzt aussteigen könnten, und dort draußen herrschten sozusagen mehr als 40 Grad Celsius, und Jan wollte bei dieser imaginierten Gelegenheit sogleich einen kleinen Marsala Chai bestellen dürfen, und unter anderem auch deswegen fragten wir uns, warum das hier in Berlin eigentlich nicht möglich ist, dass an jeder Straßenecke jemand auf einen wartet und Hocker mitgebracht hat, um Tee an die Passanten zu verkaufen – würde das erst noch kommen oder war das bereits einmal so gewesen (vor unserer Zeit)?

Dann aber wieder Ablenkung durch das Gespräch aus dem Radio, denn die Moderatorin des Senders Kulturradio befragte Gerrit Bartels, der bei jeder ihrer Fragen loslachen musste, um was es denn ginge in diesem Roman von Maxim Biller. Und anstatt das zusammenzufassen, zählte er die fiktiven Romantitel des Protagonisten Solomon Karubiner auf, die allesamt extrem gewollt klangen, und auch ein bisschen läppisch, so lautete einer sage und schreibe auf »Ihr wollt doch bloß unsere goldenen Eier«. Daraufhin, auch angesichts des Staus und da ich heftigen Druck in meiner Konfirmandenblase verspürte schon seit Minuten, versuchte ich mich in Jans Schulter zu verbeißen, aber das ließ er nicht zu.

N‘ importe quoi. Als wir dann endlich einen Parkplatz gefunden hatten und wenig später schon bei Markus Schädel im Gastraum saßen, holte Jan die Zeitungen raus und da ging es in seinem Tagesspiegel naturgemäß um die Affäre Böhmermann.

– Schau, sagte Jan, hier steht, dass man ihn nun als einen Ersttäter einstuft.

Mir war das unangenehm, weil ich mich mit dem ganzen Schmonzes, auch aus einer frühkindlich durch Matthias Richling geprägten Abneigung gegen das Kabarett heraus, nicht beschäftigt hatte, brachte es aber immerhin noch fertig »Für einen Satiriker ist das aber keine vorteilhafte Beurteilung« hervorzubringen, um zugleich mit einem einleitenden »Wohingegen«, dabei Jan die erste Seite des Wirtschaftsteils der Frankfurter Allgemeinen hinhaltend: »das hier doch ziemlich lustig ist.«

– Stimmt, musste Jan zugeben. Unter der Abbildung eines grauhaarigen Mannes im Pullover, dem von einem anderen in einem anderen Pullover assistiert wurde, stand als Bildunterschrift: »Syrischer Arzt misst Blutdruck«.

Das war, und dazu bestellten wir noch mehr Kaffee, sogar sehr gut.

– Dieses intensive Studium der Comics von Donald Duck in der Übersetzung von Doktor Erika Fuchs hat die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung halt krisenresistent gemacht, sagte ich.

– Könnte sein, sagte Jan. Und brachte den Leitartikel seines engen Freundes Mathias Döpfner zur Causa Böhmermann ins Spiel. Wir waren beide, obzwar ich da freilich keinerlei Textkenntnis besaß, begeistert von dessen abruptem Einwurf »A propos Ficken«, mit dem er eben dort seine Conclusio eingeleitet hatte sehen wollen.

Da ich ja, wie gesagt, keinerlei Textkenntnis des fraglichen Schmähgedichtes besaß, gleichzeitig aber auch Jan Böhmermann bedauerte, ausgerechnet Ziegen herbeibemüht zu haben, wo doch jeder Hirte weiß, dass es die Schafe sind, um die es sich bei den Zoophilen sozusagen dreht – zum Beispiel bei Woody Allen –, brachte ich nun Enten zur Sprache: Im Sonderheft Donald Duck aus dem Frühling 1988 fand sich nämlich ab der Seite 22 die sozusagen ultrazeichenhaft auf die aktuellen Vorgänge bezogene Geschichte Alte Feindschaft.

– Stimmt, sagte Jan. Ich erinnere mich. Aber eben leider nicht präzise. Das ist doch diese Geschichte mit den Melonen. Worum geht es da noch einmal genau?

– Ich habe jetzt dummerweise das Heft nicht bei mir, da es ja wertvoll ist, aber ich kann dir die Geschichte in groben Zügen wiedergeben: Die Neffen Tick, Trick und Track werden, sie schlafen ja zusammen in einem Bett, von brutal lauten Schlägen geweckt. Es macht BUMS! Und noch einmal BUMS! Die Erschütterungen sind derart stark, dass ein auf dem Nachttisch aufbewahrtes Buch mit dem Titel Trautes Heim, Glück allein im Begriff sich befindet, zu Boden geschleudert zu werden.

Aufgeschreckt und zugleich alarmiert, eilen die Entenkinder ans Fenster und entdecken dort die Szene, in der sich ihr Onkel Donald und dessen Nachbar über den Zaun hinweg, der die Grundstücksgrenze markiert, mit Wassermelonen bewerfen. Die Wassermelonen, die der Nachbar wirft, bersten an der Duckschen Holzfassade. Wir erfahren, dass die Kampfhandlungen bereits die ganze Nacht angedauert haben, anscheinend hatten Tick, Trick und Track aber einen festen Schlaf.

Der Nachbar heißt Zorngibel, er ist um einiges größer als Donald und scheint auch vom Physischen her stärker. Seine schwarzen Augenbrauen sind zu einer Art monobrow zusammengewachsen, sein Bürzelhaft dichtes, schwarzes Haar wächst ihm tief in die Stirn. In einer Feuerpause erklärt Donald seinen Anvertrauten den angeblichen Konflikt: Er, Donald Duck, habe Nachbar Zorngibel einen seltsam gewachsenen Kürbis gezeigt, dessen Geformtheit ihn an Zorngibels Gesicht erinnert habe.

Dieser zorngibelförmige Kürbis liegt auch noch vor, Donald holt ihn und zeigt ihn den Neffen: Die Feldfrucht ähnelt dem Gesicht des Nachbarn tatsächlich. Wobei einer von ihnen, entweder Track, Tick oder Trick auch seine Vermutung zum Ausdruck bringt, Donald habe »doch wohl ein bisschen nachgeholfen«.

Daraufhin aber, so geht die Geschichte weiter, präsentiert Donald Duck eine Kartoffel, deren Form eine Art Schnabel aufweist, mit der wiederum Nachbar Zirngibel ihn, Duck konfrontiert habe: »Und wenn schon. Er hat bei der Kartoffel, die er mir gezeigt hat, auch nachgeholfen.«

Damit, so scheint es, hat es sich mit den kriegerischen Auseinandersetzungen. Aber leider kommt es dann zur Diplomatie.

Während Donald nämlich versucht, ein Fertiggericht für seine hungrigen Neffen zusammenzurühren, bereitet Nachbar Zorngibel eine Attacke vor. Vermittels einer Zwille, an der ein Zielfernrohr befestigt ist, feuert er eine aus Krähenfedern bestehende Ladung in den Kochtopf der Ducks. Die Rauchentwicklung zwingt die Enten, das Haus fluchtartig zu verlassen. Donald entdeckt ein Loch im Zaun, aus dem hämische Rufe auf die Ducksche Seite quellen. Er versucht, durch das Loch hindurch dem dahinter vermuteten Nachbarn in die Augen zu stechen, fasst dabei aber in die heimtückisch präparierte Mausefalle. Die Schmährufe »Stinkekoch, Stinkekoch«, die sich auf das vom Nachbarn vermittels Krähenfedern versaute Fertiggericht beziehen, werden von einem daneben plazierten Schallplattenspieler abgespielt.

Donald Duck eilt zu seinem hydraulischen Rohrreiniger und treibt dessen grünen Schlauch weit unter den Zaun durch das Erdreich und dann wieder empor, dort, auf dem Nachbargrundstück bis unter das Hosenbein Zorngibels. Als dieser vom enormen Wasserdruck hoch in die Luft geschleudert wird, reißt Donald den Schnabel weit auf, um ihm ein »Wasserratte! Wasserratte! Hahaha!« hinterherzurufen.

Es geht dann noch eine Weile hin und her, dabei bringt der Nachbar seinen machtvollen Rasenmäher mit 10 PS zum Einsatz, bei dem der Ducksche Rasenmäher mit seinen 5 PS unterliegt. Irgendwann ist das Haus der Enten bereits demoliert, im Badezimmer klafft ein Loch, da drängen die Neffen ihren Onkel zur friedlichen Lösung: Präsentiert wird ein Konservendosentelefon: »Nimm es, und streite fernmündlich mit ihm!«

Leider missbraucht der Nachbar die Bemühungen und verbindet sein Ende mit der Steckdose, woraufhin Donald einen schrecklichen Stromschlag erleidet. Daraufhin kommt es zu meiner Lieblingsszene: Die Neffen schleppen ein sehr langes violettes Rohr an und bitten Donald, hineinzusprechen: »Hier, Onkel Donald! Das Sprachrohr der Verständigung!« Leider täuscht sich einer der Kleinen mit seiner Vermutung »Damit kann nichts passieren.« Erst schießt der Nachbar einen Pfeil durch das Rohr, dann knallt Donald mit einer Schrotpistole am anderen Ende, um Zorngibel das Gehör zu zermalmen — so kommt es zwangsläufig zur ultimativen Schlacht.

Nämlich zum Dronenkrieg. Während die Neffen, halb blind und taub noch, das Sprachrohr der Verständigung demontieren, um noch Schlimmeres zu verhindern, bringen sowohl Donald als auch Zorngibel jeweils Käfige mit Papageien in Stellung. Zorngibel instruiert sein grün gefiedertes Tier, Donald als Amateurkürbisgärtner zu beschimpfen. Donald versucht seinem roten Papagei einen längeren Schimpf einzutrichtern, wird aber von einem Neffen daraufhingewiesen, er solle sich besser kurz fassen: »So viel auf einmal können Papageien nicht lernen.« Woraufhin Donald den Papagei anpfeift: »Sag einfach: Blödmann!«

So treffen sich nun zwei Papageien, grün der eine, rot der andere, vor einem knallend gelben Himmel. Der eine schreit »Blödmann«, der andere spricht’s ihm nach. Papageien halt. Und irgendwann fangen sie an, sich mit den Flügeln zu hauen. Dabei erscheint der Hintergrund allerdings rosa, und wenn Papageien sich hauen macht es bei Doktor Erika Fuchs KLATSCH! und PATSCH!

Tick, Trick und Track gingen derweil wieder zurück ins Bett.

Draußen war der Himmel noch immer grau. Das blieb auch den ganzen Tag noch so. Der Stereoanlagenreparaturladen, dessentwegen wir eigentlich vom Südwesten bis in den Norden der Stadt gefahren waren, machte noch zwei Stunden später auf als gedacht.

(Für Friederike)