15.4.

Als mich mal irgendjemand fragte, wie LSD denn »so wirke«, antwortete ich mit dem, was mir in den Sinn kam (tue ich meistens, denn leider faul): »Du, das fühlt sich halt an, als ob dir jemand mit einer ganz feinen Bürste die Gehirnwindungen sauber gemacht hätte. Davor waren sie verschmaucht, jetzt sind sie blitzrosa und sauber – na ja, zumindest für ein paar Tage.«

Seltsam vielleicht, wie ich damals auf das Bild dieser Bürste im Kopf gekommen sein mochte. Dazu in Ergänzung auf die Vorstellung meiner, und nicht nur meiner, sondern sämtlicher Gehirnwindungen als Rohrleitungen »wie aus Glas«, aber vermutlich erinnerte ich mich bei dem Stichwort LSD an meinen Kosmos-Chemiebaukasten. Das Reinigen der teilweise arg verschmauchten Reagenzgläser mit der Blockflötenbürste gehörte in Kindertagen zu meinen liebsten Beschäftigungen, bevor ich mit Kaliumpermanganat, Schwefel und Eisenpulver sozusagen zu Werke schritt.

Es soll zunehmend Menschen geben, die an Objekten hängen wie ich damals an meinen Reagenzgläsern. Zumindest behauptete das Volkmar Sigusch vor etwa zehn Jahren in Frankfurt, als ich ihn für ein Interview im Auftrag der Neuen Züricher Zeitung am Sonntag traf. Sein Institut für Sexualwissenschaft stand damals kurz vor der Schließung, was kaum jemand in der Öffentlichkeit bedauerlich zu finden schien, er aber schon. Anders als ich damals, mir war die Sexualkultur anderer vor zehn Jahren als eher unproblematisch, uninteressant, pornohaft und von daher auch gähn erschienen, sah er, Volkmar Sigusch, angehender Emeritus ganz neuartige Sonderfälle und -formen im Kommen begriffen. Ihm ging es vor allem um die Phänomene Geschlechtswechselbedürfnis, um Asexualität, um Menschen, die sich gehirnlich aneinander erregen, und um das Geschlecht der mir damals noch vollkommen schleierhaften, geradezu ausgedacht auf mich wirkenden Objektophilen. Personen also, die, wie Alan Turing es einst schon behauptet hatte, auch den Dingen ein Geschlecht zuschreiben können. Um sich daran dann zu erregen. Volkmar Sigusch erwähnte unter anderem den Fall einer Person, die sich in eine Maschine verliebt hatte. Also nicht in eine Maschine, die dazu hergestellt worden war, dass man sich in sie verlieben konnte oder sollte, es war kein Liebesroboter, sondern eine – Maschinenmaschine. Ein unförmiges Riesending, das an den falschen Stellen Knöpfe hatte und grün war, und nicht gerade appetitlich roch und dazu auch noch laut war, weil sie in ihrem Inneren den sogenannten lieben langen Tag – sagen wir: Spaghetti herstellte.

Das konnte ich mir damals gar nicht vorstellen. Ich konnte mir damals ganz schön viel noch gar nicht vorstellen, obwohl ich da bereits schon einmal LSD ausprobiert hatte.

Aber mittlerweile, wenn ich an der Baustelle zum Berliner Stadtschloss vorbeikomme, muss ich an Erika Eiffel denken. Gestern erst wieder. Und das sind schöne Gedanken, denn ich schaue hinauf zu den Kränen, von denen es einige gibt und ich weiß, in einer dieser Kanzeln dort oben sitzt Erika Eiffel und sie hat damit noch eines ihrer Ziele erreicht. Ich kann es mir zwar noch immer nicht vorstellen, wie es sich anfühlen könnte, wenn man sich, wie Erika Eiffel das von sich behauptet, in einen Kran verliebt hat, andererseits aber halt schon. Zumindest ein bisschen. Dann will man den Kran jeden Tag sehen. Ihn besteigen. Dann bedienen. Erika Eiffel kann den Kran, und nicht nur den, sondern, wie es heißt: sämtliche Kräne bedienen. Sie hat Kranführerwettbewerbe gewonnen, bevor man sie in den Kran auf der Baustelle zum Stadtschloss ließ. Es heißt in den Kran, nicht auf. Erika Eiffel, die Kranführerin, die in ihrem Geliebten sitzt und ihn bedient, durfte anlässlich des Richtfestes den vergleichsweise zierlichen Richtkranz aus Tannenzweigen und Stroh auf den Rohbau des Stadtschlosses schwenken. Sie ist ja eine geschiedene Eiffelturm. Dazwischen, also zwischen Turm und Kran – so kam sie aus Paris nach Berlin – ging es ihr darum, sich am Friedrichshainer Ufer in Ruhe an die Mauer schmiegen zu dürfen. Aber Kräne gibt es in dieser Stadt an jeder Ecke.

Ich kann es mir noch immer nicht vorstellen. Es geht einfach nicht.