16.4.

Cord Riechelmann verdanke ich die Einsicht, dass diese seltsam schicken Nebelkrähen – den Nichtberlinern werden sie kaum vertraut sein –, warum, darauf komme ich gleich noch, nämlich jetzt: ihr Vorkommen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hauptsächlich in Berlin haben. Sie sind, so sei es den nicht in Berlin lebenden Vogelfreunden erklärt, in etwa so groß wie Saatkrähen, allerdings unter der Halskrause in einem, tja: nebelgrauen Ton gehalten, wohingegen dann ihr Federkleid an b e i d e n Flügeln, sowie mit den Schwanzfedern wieder krähentypisch dunkel abgesetzt ist. Hier müsste es ja im Grunde wurde heißen, denn angesichts der Federkleider hübscher Vögel denkt doch im tiefsten Inneren seines Herzens, so man dort denken könnte, jeder gesunde Mensch an einen Schöpfer. An einen Designer. Also man will daran glauben, weil es zwar vernünftig ist, sich der Frisson einer kompletten Zufallsproduktion aller Lebewesen hinzugeben, aber mit dieser Einsicht verhält es sich leider wie mit der Wintersonne: Sie leuchtet, aber wärmen tut sie nicht.

An einem schönen Frühlingsmorgen sorgt das Krähen der Krähen bei mir für ein audiovisuelles Oxymoron: Dann schaue ich aus dem Fenster und Keimendes, Knospendes, Aufblühendes, die vielen Nuancen von Rosa in der Kirschbaumkrone samt daran entlang schwirrenden Bienen und Hummeln füllen das Bild. Dazu höre ich Vogelstimmen, ja, aber auch Krähengekrähe, das naturgemäß lauter schallt als das Zizibäh und Kiwittkiwitt und noch so mancher anderer Tweet. Und so kommt es zu diesem Schillern zwischen Frühlingsbild und Herbstgeräuschen, denn dass die Krähe für den Frühling steht wie Amsel, Rotkelchen und die Meisen, das will mir anscheinend nicht in den Sinn.

In meinem Heimatdorf, dem schönen Heimerdingen, das, in meiner Erinnerung, von goldenen Feldern und solchen mit Mais umgeben, auf einem Hügel gelegen ist, wurden die Krähen, die dort zur Erntezeit einfielen, um von den abgemähten Feldern die Reste aufzuklauben, fälschlicherweise als Raben bezeichnet. Das Schwäbische, ich muss es leider feststellen, produziert ja auf zwei Ebenen Fehler. Zum einen durch eine dem Normdeutschen entgegenarbeitende Grammatik, die sogar in ihrer vor allem in Stuttgart und Tübingen angesagten Lightvariante, dem sogenannten Pfarrfrauenschwäbisch, halt noch immer der schönen deutschen Sprache Gewalt antuen tut. Dazu kommt dann aber noch ein Begriffsmischmasch, der falsche Bilder assoziiert, und ein auf Schwäbisch erzogenes Kind braucht, ich nenne hier empirische Werte: etwa vier Jahre extremer Selbstzucht, um zu den von der Mehrheit der Deutschen geteilten Bildern Zugang zu erhalten. Die dissoziative Wirkung des Schwäbischen darf sich der Digital Native vorstellen wie bei einem Briefwechsel zwischen Liebespartnern, der ausschließlich mit Emojis geführt wird. Der eine bedient eine Tastatur von Apple, der andere aber nutzt Android. Unter Schwaben läuft man, wo der Rest Deutschlands geht; man transportiert die Kranken auf Bahren, in anderen Sprachregionen wäre dann bereits alles zu spät, und die Krähen, wie gesagt, werden unter Schwaben zu Raben.

Ich habe noch im ganzen Leben keinen Raben gesehen. Außer im Kino natürlich. Zuletzt, es war ein 8. Oktober, in dem Film I Spit on Your Grave.

Erster Engtanz zu Telegraph Road, weil das elf Minuten und irgendwas lang war. Der Tempowechsel ab der fünften Minute wurde – ja, das waren Zeiten! – einfach ignoriert. »Then came the Miners, then came the Schools.« Vor allem kam dann die Akne, und dann kam lange nichts.

Nach dem Wolkenbruch rieseln die Kirschblütenblätter, vom Wasser der Regentropfen beschwert, zu Boden. Die Sonne kommt durch, die Krähen krähen. Junges Grün. Sämtliche Jahreszeiten in einem Bild.