16.4.

Im Übrigen hatte Martin Mosebach hierzu alles Wesentliche in seiner Häresie der Formlosigkeit ausgeführt, doch waren uns am Samstagabend schon entlang der Bahnstrecke die teils nur qualmenden, teils auch lodernden Stapel aus den Abschnitten alter Bäume und Gebüsche aufgefallen. Der traditionelle Tag für das Anfachen des Osterfeuers war aber einfach der Sonntag. Den Nachmittag über beobachteten wir aus einem dem Hügel zugewandten Fenster eine gewisse Konzentration von Einheimischen, die in regenfester Kleidung sich um die beiden Stapel scharten.

In der Nacht hatte das Schaf ein Lamm zur Welt gebracht. Mit schwarzem Fell, was keine Ausnahme darstellte, da sämtliche Lämmer in dieser Herde, bis auf eines, schwarz waren. Dies eine war grau meliert. Am Zaun hatte ich in die Hände geklatscht und die Schafe waren samt ihren Jungen auf uns zugestürmt unter lautem Blöken. Dann Übersprungshandlungen, sie standen und kauten auf irgendetwas herum, manche wohl auch lediglich vorgeblich, als sie erkannt hatten, dass wir ihnen nichts anderes anzubieten gedachten als unsere Aufmerksamkeit. Hinter dem Apfelbaum, der blühte, stand die abgesonderte Mutter mit ihrem frischen Lamm, dessen Beine noch arg lang wirkten. Ein Rest der abdörrenden Nabelschnur war noch zu sehen. Das Neugeborene stöberte unter dem Fell der duldsamen Mutter, das in Würsten wie Dreadlocks herabhing.

Entlang der Weißdornhecken, die voller Blüten steckten, ging es an der künftigen Lungenheilanstalt links vorbei bergan. Ein schönes Schild in Schwarz auf Gelb wies uns darauf hin, dass dieser Park ein Park war und kein Hundeklo. Wir nahmen das hin, obzwar wir hundelos gingen. Am Himmel, dessen Erscheinungsbild uns von Cupertino her als regnerisch prophezeit worden war, kreiste ein Lämmergeier.

Als wir den Hügel erreicht hatten, brannten die Stapel dort auf der Anhöhe. Ging man ganz nah heran, wurde einem bald ziemlich warm. Es waren weit weniger Menschen gekommen als gedacht. Aber insbesondere den jungen Einheimischen war es deutlich anzumerken, dass dieses am Osterfeuer stehen und sich vom Osterfeuer wärmen lassen und die ausgetrunkenen Plastikbecher ins Osterfeuer werfen und den dort im Osterfeuer schmelzenden Plastikbechern beim Schmelzen zusehen für die rings um dies Osterfeuer Versammelten etwas Identitäres bedeutete oder ganz einfach war. Ja, ich konnte mir sogar auf einmal sozusagen plastisch vorstellen, wie einer wie der Österreicher Martin Sellner vor einem solchen oder ganz ähnlich aufgeschichteten und plazierten Osterfeuerholzstapel stehend seine Berufung zur Identitären Bewegung erfahren hatte. Nämlich ganz wirklich als Ruf. Nicht von anderswo her, sondern aus ihm tief innen heraus, erweckt vom Anblick der Flammen und der beständig ineinanderzusammenkrachenden Glut, die Wärme dazu, freilich, aber auch die einfachen Gesichter der Einheimischen herum, denen man in der behaglichen Wärme des Osterfeuers stehend in die Gesichter schaut, man braucht dabei gar nicht viel zu reden, um Einverständnis zu fühlen. Es ist halt, wie es ist. Es ist identitär.

Im Mittelgrund waren nun Wolken erschienen, die ganz tief über dem weißen Steinbruch hingen, der dort am Horizont zu erkennen war. Weshalb er weiß war? Nun, weil dort Gips angebaut wurde. Und zwar – man denkt dann Gips ist Gips, wird aber vom Volk eines Besseren belehrt (und zwar auf eine schöne, weil stolze, weil aufrechte Weise): der beste im ganzen Land. Jetzt aber soll die Renaturalisierung kommen. Indem man ausgerechnet den Abhub von Stuttgart21 dort ablagert. In Thüringen! Fremde Muttererde aus Württemberg – was soll das? Desweiteren ging es um die Ecstasy-Preise in der Kneipe, weil die Zeiten, als MDMA noch als Königin der Substanzen bezeichnet werden durfte (unter anderem von mir), die sind jetzt vorbei, auch Ecstasy ist jetzt Volksdroge. Es ist identitär.

Nach Einbruch der Dunkelheit saßen wir lange noch am Fenster und schauten zum Hügel hinüber. Die Flammen sprangen empor in die Nacht. Man konnte sich, und das taten wir freilich, ganz schön ausmalen, es wären dies verfeindete Dörfer. Gehöfte, die wir niedergebrannt hatten. Den roten Hahn auf den First gesetzt. Es regnete beinahe die ganze Nacht hindurch bis zum Morgengrauen. Als die Sonne aufgegangen war, schwelten die Reste ja immer noch.