17.1.

Vier Minuten vor halb sechs in der Frühe traf dann endlich eine Nachricht der Muse ein. Darin beichtete sie, noch während eines Versuches, unsere telepathische Verbindung in eine telefonische zu wandeln, aus lauter Erschöpfung eingeschlafen zu sein. Das hatte ich freilich gespürt. Sie ist überarbeitet. Selbst Tilman Rammstedt und die Mitarbeiter des Hanser-Verlages, ja sogar der Verleger selbst, nehmen sich für die Sams- und Sonntage frei und liefern die nächste Folge von Morgen mehr dann erst wieder am Montag, der in Deutschland gemäß DIN 1355 als Wochenbeginn genormt ist. Von der englischen Erfindung eines Wochenendes kann die Muse zwar träumen, aber nützen wird ihr das nichts. Für die Muse gibt es keine Wochenenden, ihre Energie fließt in eine Möbiusschleife, die durch eine liegende 8 symbolisiert wird. Da muss sie durch, wie die Muse zu sagen pflegt. Bildlich gesehen, eine endlose Fahrt auf der Achterbahn.

Es gibt nicht viel, vor dem ich mich fürchten muss, beziehungsweise gibt es extrem vieles, aber davon ahne ich im Vorhinein nichts, sondern weiß es erst dann, wenn das Fürchterliche sich zu erkennen gibt, so wie aktuell in der Zahlenkombination 69, die ich bis vor Kurzem noch extrem gerne mochte, unter anderem auch deswegen, weil sie das Symbol meines Sternzeichens ist. Dazu kommt nun die Furcht vor einem möglichen
過労死 der Muse. Sie befindet sich in dieser kritischen Phase der Jugend, von der ich gestern schrieb, dass im Verlauf derer die Vernunft mit einem trügerischen Gefühl der Unsterblichkeit bestochen würde. Sollte die Muse aber vor mir sterben müssen, dann – nein, das bleibt unvorstellbar. Tatsächlich ist da eine, mein Denken begrenzende Wand gesetzt, die ist so beschaffen wie das Nichts bei Michael Ende. Unbeschreiblich also. Und verfilmen ließe sich das erst recht nicht. Noch nicht einmal schlecht.

Die Muse gähnte. Selbst ihr Gähnen klingt für mein Ohr entzückend. Insbesondere, seit ich von Mithu Sanyal weiß, dass im Englischen to yawn aus dem Sanskrit entlehnt wurde, wo mit Yoni die Vulva bezeichnet wird.  

Und ich sagte:

– Es schneit.

– Schön. Bei mir nicht. Leider.

– Es sieht aus wie auf dem New Yorker vor zwei Jahren, wie auf dieser Zeichnung Perfect Storm von Tomer Hanuka. Bloß ohne Sturm halt.

– Bist du allein, fragte die Muse und gähnte.

– Klar, sagte ich. Aber ansonsten sieht es vor dem Fenster identisch aus. Ich war auf einer Party, da gab es kleine Brote mit gescheibelten Krakenarmen drauf und Champagner. Ein Raum war ganz grün und der andere rot. Dann hat es angefangen zu schneien und ich hatte Weihnachtsgefühle. Im Kinderzimmer wurde Grand Theft Auto gespielt, das habe ich mir wie einen Film angeschaut.

– Schön.

– Ich finde, du musst noch mehr essen. Ich habe da von Alfons ein Rezept bekommen, das sollst du dir heute mal zubereiten: Du nimmst eine Fleischwurst…

– Warte, sagte die Muse, ich hole mir was zum Schreiben!

– Also die Fleischwurst schälen, halbieren und in feine Scheiben aufschneiden.

– Klingt schon mal gut!

– Dann nimmst du eine größere Menge Käse – oh, jetzt kommt hier schon der Newsletter von Brain Pickings, also ist es gleich sechs –, aber egal: Käse also. Alfons sprach von einem ›richtigen Block‹.

– Emmentaler, nehme ich an. Weiß ich, wo man den kriegt. Fleischwurst habe ich eh.

– Sehr gut. Den Käse erst in dünne Bahnen, die Bahnen dann in feine Streifen teilen. Dann eine kleine Zwiebel zerhacken und aus Essig, Zucker, bisschen Senf und Salz eine Marinade rühren. Damit die Wurst und den Käse übergießen und mit einem Teller abdecken. Währenddessen stellst du den Backofen an.

– Wie? Was soll das denn? Wird der herrliche Wurstsalat jetzt etwa überbacken – das mag ich aber überhaupt nicht.

– Iwo. Da kommen jetzt vier Tiefkühlpizzen rein. Alfons rät zu Spinat und Salami. Oder auch eine mit Schinken. Aber eben auf gar keinen Fall solche von einer Handelsmarke, es muss Dr. Oetker sein.

– Verstehe ich gut.

– Nach zehn Minuten oder so ist der Ofen dann so weit und während die Pizzen backen, wird der Salat mit Kürbiskernöl besprenkelt und noch einmal gut durchgemischt. Alfons sagt, dass der Käse sich durch das Kernöl grün färben muss, dann hat man es richtig gemacht. Jetzt schwarzen Pfeffer drauf und die ganze Schüssel mit dem Löffel essen. Danach sofort die Pizzen, bevor das Sättigungsgefühl kommt. Die ersten zwei noch in der Küche, al libro. Die restlichen beiden auf dem Sofa oder im Bett.

– Aber dabei will ich auch Fernsehen – mindestens!

– Sollst du ja auch. Dazu einen ganzen Becher Half Baked von Ben & Jerry. Und jetzt schläfst Du mal bitte wieder.

– Na gut. Muss ich auch, glaube ich. Und du, was machst du jetzt?

– Ich schreibe jetzt. Ist ja gleich sechs Uhr dreißig.

– Du musst aber auch etwas essen.

– Mache ich. Nachher dann beim Zeitunglesen. Schlaf gut.