17.9.

Endlich weiß ich, was Luxus für mich bedeutet: dass im Garten ein Kastanienbaum steht. Er trägt zwar nicht annähernd so üppig, wie die anderen draußen, aber dafür bin ich der Einzige hier, der sammelt. Und ich habe es nicht weit. Morgens, noch bevor die Krähen sich aus ihren Schlafbäumen herablassen, gehe ich vor die Tür, und dann liegen da schon wieder ein paar neue Exemplare. Die Katze rührt sie nicht an. Für Füchse sind sie anscheinend auch nicht interessant und Wildschweine gibt es hier offenbar nicht (anders als drüben im Grunewald, wo sie sogar bejagt werden). Zur Zeit fallen die für mich weltschönsten Baumsamen noch in ihren stacheligen Verpackungen zu Boden. Teilweise erst ein wenig aufgesprengt, sodass ihr poliertes Holz aus den braun verfärbten Schalen gerade mal so hervorlugt. Wie lockend. Keine dabei wie eine andere. Vorgestern fand ich ein Doppelauge. Heute eine Konstellation wie eine Vulva.

Die Tiere waren unruhig am gestrigen Abend. Offenbar tragen sie doch einen feiner ausgebildeten Jahreskalender in sich als gedacht; einen, der ihnen mehr anzuzeigen hat, als die Paarungssaison und den nahenden Winter. Bei Sonnenuntergang verzogen sie sich an andere Plätze als sonst üblich. So als suchten sie Deckung. Das große Feuerwerk findet in jedem Jahr am zweiten Wochenende im September statt. Gut möglich, dass die Tiere davon derart traumatisiert wurden, dass sie die Vorzeichen lesen und ahnen, was Sache ist. Vielleicht lag es aber auch daran, dass bereits kurz vor Sonnenuntergang der Himmel voller Drohnen war. Brummend und raschelnd, noch lauter als Hornissen und Libellen. Vor allem mit jeweils zwei roten Glühaugen vorne und dazu noch zwei grüne am Hinterteil.

Die Schifffahrtsgesellschaft hatte sämtliche Schiffe mit Sonderbeleuchtungen dekoriert, die niedrigen Aussichtsboote aus den Siebzigern hatten Streifen aus Neon über die ganze Länge des Oberdecks, wie man sie von denen auf der Seine her kennt. Und auch die sogenannte Heiterkeit, mit der im Sommer der Seeheimer Kreis seine Spargelfahrt gefeiert hatte, lief wie ächzend aus, dabei geben ja all diese Schiffe gerade mal ein Brummen von sich, das allerdings in großer Zahl vervielfältigt, durch subaquatische Schallwellenmassage den Steg zum Vibrieren bringt.

Im Vergleich klitzekleine Polizeiboote, in der Dunkelheit blieben sie auf ihr bläuliches Blitzen reduziert, kreisten die leuchtenden Schiffe ein, die sich in einer Spiralformation zu einer Art Schneckennudel auf der Mitte des Sees, der ja gar kein See ist, sonder ein extrem breiter Fluß, der extrem langsam fließt, zu versammeln. Vom Yachtclub Nixe am anderen Ufer tönte Saxophonmusik. Am öffentlichen Steg nebenan drängten sich Zuschauer und Drohnenpiloten. Dann, es schallte mit Echo, zählte der Kapitän der Heiterkeit, deren nostalgisierendes Schaufelrad mit Glühbirnen dekoriert worden war, einen Countdown. Und aus der Mitte des Kreises aus leuchtenden Schiffen wurde von einem vergleichsweise Miniboot aus das Feuerwerk in den Nachthimmel geschossen. Ganz klassisch: zunächst die Fontänen, dann blaue Nadelkissen, Goldregen und Chrysanthemen, zum Abschluss eine Art Nuklearexplosion.

Traumhafte Bilder ergaben sich durch den Rauch, der sich über die Wasseroberfläche wabernd, in die erleuchteten Gärten ringsum verzog. Elastische Äste der Trauerweiden, die vom Nachtwind bewegt wurden, als sollten sie tanzen. Nebel der Pyrotechnik über den im Rasen eingelassenen Scheinwerfern. Eine lange tiefrote Spiegelung färbte die dunklen Wellen, sie kam direkt auf mich zu. Nightlife von Cyprien Gaillard en miniature.