17.9.

Europa ist beinahe endlos weit: Nach einer zwölfstündigen Reise, die mit einer Fahrt im Regionalzug begann, dann zweimal Flugzeug, und nach der Ankunft im Fährhafen von Split noch eine Fahrt über die adriatische See, kamen wir endlich auf der Insel Hvar an. Dort war es dunkel. Aber während unser aufhaltsamen Reise hatten wir bereits einige Eindrücke von kroatischer Konsumkultur bekommen und von daher fügten wir den schwarzen Bildern, die vor den Fenstern des Überlandbusses an uns vorbeizogen, die eindrücklichsten von ihnen hinzu. Beispielsweise die in kroatischen Städten und auf den kroatischen Flughäfen omnipräsente Werbung für die kroatische Limonade Pipi, deren kurioser Name uns als Nichtkroaten freilich immer wieder zum Schmunzeln bewegt hatte. Vor allem auch, weil diese überall auf großflächigen Plakaten beworbene, und den gemalten Plakatmotiven zufolge wohl orangefarbene Limonade verblüffenderweise so gar nicht leicht erhältlich war, wie es die überall und großflächig auf Werbetafeln ausgehängten Plakate suggeriert hatten. In Split beispielsweise, wo es in ungewöhnlich großen Tropfen warm geregnet hatte, waren wir an jeder der kleinen Imbissbuden dort am Saum der Hafenanlage abgewiesen worden, weil es an keiner der Buden eine Flasche der von uns verlangten Pipi gab.

Unser Haus erreichten wir um kurz nach 21 Uhr. Ein gewaltiges Rauschen fuhr die ganze Nacht lang durch die Pinien auf dem abschüssigen Grundstück, gemischt mit dem Wellenschlag der nur wenige Meter entfernten Steilküste. Wir sanken in einen tiefen Schlaf.

Die Zikaden hier sind beinahe handgroß, dementsprechend laut ertönt ihr feilender Grind noch vor dem Sonnenaufgang, aber man gewöhnt sich daran. Obwohl es sich bei den Kroaten um extrem orthodox lebende Christen handelt, haben die Supermärkte auf der Insel auch am Sonntag geöffnet. Gleich im ersten, der in einer Art Baracke zwischen zwei Felsen untergebracht war, wurden wir im Kühlregal fündig: Pipi schmeckt wie ein kräftiges, dabei extrem lösliches Brausepulver, das mit viel zu wenig Wasser versetzt wurde. Des Weiteren gibt es in Kroatien eine große Auswahl an Würsten im Mortadellaformat, die aber nicht nur appetitlich geformt sind, sondern dazu noch in fußballtrikothaft schimmernden Plastikhüllen abgefüllt angeboten werden. Raffiniertes Kekssortiment. Die Kroaten selbst sind eher wortkarg, fast ruppig. Ein Lifestyle, der vermutlich auch mit durch die Lebenswelt beeinflusst wird, denn die Insel besteht im Wesentlichen aus Kakteen, Pinien und Granatapfelbäumen. Und alle wurzeln sie auf weißen Felsen. Es gibt auch nur ganz wenig Strand, der ist größtenteils an die englischen Touristen verkauft. Eine Leidensgeschichte, von denen insbesondere die Griechen auf Kreta, aber auch die Südfranzosen von Antibes ein Lied singen können. Auf Hvar in Kroatien zeigen Verbotsschilder von dieser schmerzhaften Geschichte einer Unterwerfung der orthodoxen Insulaner unter das britische Joch. Diese Schilder sind wie Höhlenmalereien, sie zeugen von den Schandtaten, deren man mittlerweile zum Glück nicht mehr ansichtig werden muss. Beispielsweise ist dort ein Piktogramm eines schmerbäuchigen Schluckspechts abgebildet, der den Inhalt eines schäumenden Maßkruges in sein Pez-spenderhaftes Maul hineinschüttet, dabei aber auch noch torkelnd tanzt und singt. Strafe: 120 Euro – es scheint die einzige Sprache, die dieses Volk der Unholde versteht. Die Kroaten selbst sprechen ein schönes, wenn auch schlankes Englisch; sind wie gesagt vom Naturell her eher wortkarg wie ihre geliebten Berge, die weiß und nur von Kakteen, Granatäpfelbäumen und hier und da von Pinien bewachsen aus der Inselmitte in den Hintergrund ragen. Dazu viele Kirchen, deren Türme aus dem Inselfels vierkantig gebaut sind und an den Film Vertigo von Alfred Hitchcock erinnern. Ebenfalls verboten ist das Betreten der Kirchen oben ohne, sowie das Verzehren von dreieckig zugeschnittenen Pizzastücken, während man auf dem Boden sitzt, Maßkrüge in sich hineinleert, und dabei im Sitzen torkelt und singt.

Gottseidank war es aber bei unsererem umsichtig gewählten Ankunftstermin so gewesen, dass dort auf Hvar schon das Saisonende gefeiert wurde. Und Hvar ohne Engländer ist lieblich. Das Meerwasser klar, es fällt von der Steilküste gleich metertief ab und man schaut, im dunkelblau glitzernden Wasser herumschwimmend, auf seine eigenen Füße. Der Felsboden darunter ganz weiß. Es duftet nach Pinien. Seltsamerweise gibt es kaum Vögel. Die Kroaten servieren sehr guten Kaffee.