18.1.

Jeder Tag ist wie ein Stein. Sie reihen sich von selbst aneinander, in einer unendlichen Zeile, weswegen Arno Schmidt unser Dasein als musivisch beschrieben hat. »That’s me! Ein Tablett voll glitzernder Snapshots«.

Der Unterschied zwischen zeitgenössischer Lyrik und zeitgenössischer Prosa, so hat es mir Thomas Meinecke einmal erklärt, liegt einzig im Einsatz der Return-Taste. Das stimmt – ich erinnerte mich an meinen Versuch einer Ode an die Muse vom 8. Januar, die sich bekanntermaßen, wie Lorenz Schroeter feststellte, als ungewolltes Plagiat eines Erfolgsverses von Joachim Lottmann herausstellen sollte. Apropos: Beim sonntäglichen Herumklicken auf Twitter entdeckte ich das zwar unscharfe, dafür aber nur noch zeichenhaftere, also mega romantische Hintergrundbild, das der von mir für seine Ode an Winona Ryder verehrte Tobias Ruether auf seiner Profilseite ebendort zeigt. Ganz klar: einer von uns!!!

Ihrem Informationswert entsprechend, tippte ich die letzten drei Zeichen mit extra viel Gefühl in die Tastatur dieses Computers ein –  aber aus der Hörmuschel meines Telefons drang weiterhin das Rauschen des ganz kleinen Meeres, wie ein prüfendes Lauschen ergab. Das hatte nun die ganzen Nachtstunden bis 5 Uhr 26 neben mir gelegen, seitdem die Muse irgendwann nach 22 Uhr 59 eingeschlafen war, während ich ihr eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hatte. Und zwar auf ihren persönlichen Wunsch hin ein erotisches Märchen aus dem Privatdruck der Gesellschaft österreichischer Bibliophiler. Vor allem auf der Zeichenebene sind die ziemlich hardcore.

Auf besonderen Wunsch der Muse las ich ihr nach dem Schneewittchen und dem Evergreen Froschkönig noch die Geschichte von Vater, Tochter und Enkel vor, obwohl ich schon während der Spekulum-Szene mit Schneewittchens Stiefmutter spüren konnte, dass sich die Aufmerksamkeit der Muse musivisch zu verflüssigen begonnen hatte. Nach der inzestuösen Sandwich-Nummer in Vater, Tochter und Enkel, eine Katharsis im klassischen Sinne ist es nicht, kommt da noch eine ziemlich lustige Rede des durch Inzest gezeugten Enkels des Königs, kurz nachdem er zum Liebhaber seiner eigenen Mutter gekrönt wurde, der ich schon beim Vorlesen kaum folgen konnte: »Mein Vater ist mein Großvater, meine Mutter ist meine Großmutter, weil sie die Frau meines Großvaters ist. Meine Mutter ist aber auch meine Frau, denn ich bin soeben bei ihr gelegen. Also bin ich der Mann meiner Großmutter, und bin infolgedessen mein eigener Vater. Wollen wir hoffen, dass meine liebe Mutter auch von mir einen Sohn bekommt, dann hat meine Mutter einen Sohn bekommen, und der ist dann mein Bruder. Er ist aber auch… na, Prosit, wir wollen uns den Kopf nicht zerbrechen«.

Tja, kein Wunder, dass die Muse dabei eingeschlummert war. Das nächste Mal lesen wir wieder Bataille!

Ich legte das Telefon behutsam neben mir auf das Kissen, so wie man einen winzigen Menschen oder ein schlafendes Tier neben sich betten würde und schlief dann auch, so, neben dem Apparat, für ein paar Stunden; ultra behutsam, um ja nicht im Schlaf mit der Ohrmuschel die Auflegetaste zu betätigen, oder gar den Apparat zu Boden zu fegen mit all dem, was für mich da drinnen war.