20./21.8.

Samstagfrüh, es war noch stockdunkel, vom Geräusch des Regens erwacht. Es rauschte und platterte wie auf ein Zeltdach, ich stand unter der Buche und wartete auf das Taxi. Dann mit der Frühmaschine nach Düsseldorf. Leider hatte ich mir nicht genau überlegt, wer wohl an einem Samstag um kurz nach sechs nach Düsseldorf muss: Das Flugzeug ist riesig und füllt sich langsam, aber allmählich dann doch mit Urlaubern, die meisten von ihnen wollen, wie ich höre, nach Miami (da war ich noch nie und ich verspüre auch keine Lust darauf, dort jemals hinzufahren). Grandioser Sonnenaufgang über der Wolkenschicht, der Himmel strahlt in einem tiefen Blau und ich träume vom Regen.

Aufgrund der Verspätung blieb mir in Düsseldorf auch keine Zeit mehr, was schade war, denn der Flughafen dort ist aufgrund seiner kompakten Bauweise ein Snackhimmel, vergleichbar in dieser Form eigentlich nur noch mit dem von Istanbul und dem von Kairo. Na ja. Der Flugkapitän behauptete, sein Name sei Carlos Sprüngli. Am Flughafen in Zürich leuchtete auf einem Display: »Der König der Schweiz trägt keine Krone aus Gold, er trägt einen Kranz aus Grünem«.

Als ich das letzte Mal hier war, gab es noch Osterhasen überall.

Die ganze Langstrasse riecht, als sei sie mit Bier abgewaschen worden. Ich bin zum ersten Mal an einem Wochenende hier und sehe nun, was Beda und Yves mir ansonsten am Telefon erzählen: Auf dem Platz vor dem Studio werden drei Schreihälse von gummihandschuhtragenden Polizisten weggetragen. Die kommen jetzt ins naheliegende Gefängnis, das noch genauso ausschaut, wie man sich ein Gefängnis vorstellt: aus Felsbrocken gemauert mit Eisengittern vor den Fenstern. Nach einer Nacht dort, lässt man sie wieder frei. Zusätzlich zu diesen Abschreckungsmaßnahmen fährt die Stadt Zürich noch eine Plakat-Aktion, die in zwinglianischer Tradition rein typografisch gestaltet wurde: »DJ Dreck feat. MC Lärm spielen nicht in Zürich – Nachtleben und Lassen«. Von hinten durch die Brust ins Auge ist der Gang der Echternacher Springprozession.

Beda sitzt an seinem Schreibtisch und streicht mit schwarzem Filzstift seine Sätze von gestern durch, bis die gesamte Tagebuchseite so ausschaut wie ein von Jenny Holzer gestaltetes CIA-Protokoll. Ich beglückwünsche ihn zu seiner neuen Tapete, denn wo beim letzten Mal noch zig Ausdrucke zum Themenkreis Schauspiel und Tanz hingen, kleben jetzt Motive und Gedankenstützen zu Ausstellungsformen, Bilderwitze von David Shrigley und Fischli und Weiss, sowie so ziemlich alles, was es zum Topos des Waschbeckens zu denken, sagen, beziehungsweise anzugucken gibt.

Der Prozess der gedanklichen Zusammenarbeit wird von einem zarten Satz abgeschlossen: »Weißt du eigentlich, wieviele Menschen es gibt, mit denen man einfach so sitzen und reden kann, und dabei entsteht alles, ohne dass ich viel erklären muss – nicht so viele«.

Dann durch die Napfgasse in die Kronenhalle. Es nieselt, die Luft aber steht. Es ist megaschwül und von daher stört es nicht, dass die Kleidung feucht auf der Haut liegt. Man ist in einem Element. Der Kellner weist uns einen ungewohnten Tisch an, wo früher angeblich Josef Ackermann immer saß, bevor er sich dieses Privileg auf unzwinglianische Weise verspielte. Von dort aus kann ich mein Lieblingswappen am Deckenfries sehen, jenes von Riesbach, daneben steht in einer Fraktur:

HOHE MASTEN
SCHWERE LASTEN
SCHLIESSEN UM DIE WELT EIN BAND

Das Wappen besteht aus einem auf den Kopf gestellten J, die Krümmung in weiß, der Griff aber rot auf dunklem Grund. Nach dem Geschnetzelten mit doppelt Rösti stellt man uns eine Saaltochter vor, deren Großvater bereits hier als Kellner gearbeitet hat. Gespräche über Liebe und Freundschaft und Liebeskummer auch. Der unter Männern angeblich so rare, in Wahrheit doch extrem wichtige Themenkreis.

Zu Fuß durch den warmen Regen über die Brücke nach Hause, wo vor meinem Hotel bereits die Vorbereitungen für die nächste Party laufen. Deren Fortgang wird im weiteren Verlauf der Nacht direkt bis in mein Zimmer im vierten Stockwerk live übertragen. Der Ventilator läuft die ganze Zeit, bis es hell geworden ist und die Langstrasse riecht schon wieder so, wie abgewaschen mit Bier.

Das Gute an Zürich ist für mich, dass ich mir um den ganzen Rest, um die Straßennamen und Gebäude, um die Umgangsformen und den Look hier, überhaupt keine Gedanken mehr machen muss, weil dazu alles, wirklich alles bereits gesagt und geschrieben worden ist.