20.8.2020

Eigentlich hatte ich Pheromonfallen kaufen wollen, war dabei aber, wie das hier so ist, vom reinen Schauen geleitet bis tief an den Rand der Altstadt gelockt worden. Vor dem ehemaligen Zollamt, einer Nebenstätte des Museums für Moderne Kunst, entdeckte ich auf dem Vorplatz einen größeren Stapel von Europaletten, auf denen wiederum säckeweise Blumenerde in Stapeln lag. Ein Mitarbeiter der Spedition, zart und drahtig und milchschokoladenfarbig, vielleicht ein Ghanaer, vielleicht ein Namibier, vielleicht auch ein Südmarokkaner, schien damit beautragt, diese Säcke ins Hausinnere zu schaffen. Zum Zeitpunkt meiner Ankunft auf dem Platze lagen noch 23 Säcke zu je 70 Liter vor der Tür. Frage nicht, warum man Erde mit Flüssigmaßen misst!

Im Angesicht dessen fiel mir natürlich wieder ein, wie ich kurz vor dem Lockdown, Ende März, an genau dieser Stelle gestanden hatte, bloß waren damals palettenweise Blumen abgeladen und ins Zollhaus hinein getragen worden. Sehr viel später erst hatte ich anlässlich meines Besuchs der Frank-Walter-Retrospektive erfahren, dass diese Pflanzen nach der Verkündung des Lockdowns retour nach Holland geschickt worden waren, da die Ausstellung nicht wie geplant eröffnet werden konnte. Die Künstlerin, Precious Okoyomon, konnte nicht aus den Vereinigten Staaten anreisen. Die Blumen warteten vergeblich auf ihr Arrangement.

Es handelt es sich übrigens mitnichten um dekorative Blühpflanzen, wie ich in Erfahrung bringen konnte: Die Installation «Earthseed» besteht aus den Insassen zweier Lastwagen-Container, gefüllt mit Exemplaren des in Japan heimischen Bodendeckers Kudzu (Pueraria montana), einer Art Winde. Die Installation soll eine Praxis in den Südstaaten von Amerika ins Gedächtnis rufen, als durch extensive Baumwollwirtschaft in Zeiten der Sklaverei der Boden errodiert wurde. Kudzu sollte die Krume vor dem Verwehen bewahren. Den Warnungen der Japaner gemäß, die die Yankees ignoriert hatten, überwucherte Kudzu das Land und ließ sich dabei nicht im Zaum halten. Mensch denkt, Gott lenkt, ließe sich dazu denken, doch wirkt die Präsenz der alles überdeckenden, auch die Scham und die Schuld zuwuchernden Pflanze Kudzu in dem ehemaligen Zollamt irgendwie — direkter? Auf jeden Fall eindrucksvoller, bestimmt. Was wohl mit der Ladung Pflanzen aus der Lieferung vor dem Lockdown geschehen ist? Und was wird denen blühen, die jetzt im Zollamt vertrauensvoll sprießen in Richtung ihres künstlichen Sonnenlichts?

«Schrecklich, die Corona-Zeiten», rief eine Frau mit Mundschutz vor dem Café Mozart. «Es treibt die Leut‘ auseinander. Man traut sich schon gar nicht mehr, irgendwo dazuzusitzen.»