2.1.

Dringende Nachricht von meiner Mutter: »Haben eben dein Interv. in SWR 2 gehört«. Es ist noch nicht einmal sieben Uhr. Mein erster Gedanke ist nicht: Warum wird diese Sendung denn so früh gesendet?, sondern: Warum sind meine Eltern denn schon so früh auf? Umsonst gesorgt, am Telefon- sie geht sofort ran - klingt meine Mutter nicht nur munter, sondern auch gesund. Neujahrsgrüße, kurzer Abriss ihrer Silvestergeschichte: Bis um halb drei in der Früh war bei den Nachbarn von gegenüber noch gezecht worden, dabei wurden die Fotos vom Peru-Urlaub betrachtet — auf einem der Fotos, meine Mutter beschreibt es sehr genau, ist eins der dort heimischen Meerschweinchen zu sehen, mit einem für Peru-Urlauber ungewohnten Gesichtsausdruck, so als ob es sich erschreckt habe im Moment des mit Blitzlicht Fotografiertwerdens, doch kommt dieser Gesichtsausdruck, ich weiß das, denn ich war selbst schon dort im Lande der Inka, vom Gebratenwerden, denn Meerschweinchen werden dort, man glaubt es kaum, wie bei uns die Hendl verzehrt. Ich fragte meine Mutter, ob sie sich noch daran erinnere, dass dieses Meerschwein dem Nachbarn in Cuzco serviert worden sei, denn dort, in Cuzco, einem malerischen Andendorf am Ende des runway of the gods, hatte auch ich das eine oder andere cui, wie die possierlichen Kleinsäuger dort genannt werden, verdrückt.

»Cui — aha«, fiel meiner Mutter dazu ein. »Man nennt sie so, weil sie diese Geräusche machen: cui, cui, cui.«

Absolut. Beziehungsweise höchstwahrscheinlich. Es ging dann noch um die Abwesenheit einer Schneebar an Silvester vor dem Haus der Nachbarn. Weil es nicht geschneit hatte. Wieder einmal, wie man - wie ich fand: leider - sagen muss. Eben gar nicht leider, wie meine Mutter fand, denn, wie sie mich bereits vor Weihnachten ermahnt hatte, war das lediglich eine trügerische Erinnerung meinerseits, dass es früher an Weihnachten und Silvester immer und andauernd geschneit habe; sie, die diese von mir erinnerten Weihnachten und Silvester größtenteils mit mir zusammen verbracht habe, hatte die nämlich als größtenteils schneelos beziehungsweise kaum verschneit erlebt. So halt auch, sie war schließlich noch immer vor Ort, im Heimerdingen dieses Jahres, das nun ein vergangenes war.

Unterdessen hatte es hier in der Gass‘ unter dem Messeturm angefangen, schleimig zu schneien. Das Telefongespräch mit meiner Mutter hatte ich begonnen bei gelblichem Licht, ganz typisch an einem Morgen, wenn es zu schneien droht. Als ich die ersten Flocken trudeln sah, ging ich mit der Stimme meiner Mutter am Ohr in der Wohnung auf und ab und sah, dass dort im Hinterhof ein ganz anderer Schnee fiel als auf der Fassadenseite: dichter, trockener und - bei Schnee versteht sich das ja eigentlich von selbst, und trotzdem muss es hingeschrieben werden - reiner. Das kleine Rasenstück neben dem Fabrikgebäude, in dem ich einst meine Milchbar eröffnet haben würde, schien mir ohne meine Brille besehen bereits so dicht an dicht mit Flocken überzuckert wie eine Schwarzwälder Kirschtorte ohne Kirschen und mit nur ganz wenigen Schokoladenstreuseln.

Da drin herum hüpften zwei Amseln auf der Suche nach steifgefrorenen Regenwürmern oder solchen Schnecken, die es nicht mehr rechtzeitig unters Gebüsch geschafft hatten. In Berlin, so las ich, sollte es zwei Grad haben, dazu Nebel. Mich fror.