2.12.2019

Auf dem Neujahrsspaziergang zum Café Laumer eröffnete mir Friederike, vermutlich dabei allein mich überraschend, ihren Entschluss, ab sofort selbst ein Tagebuch im Internet veröffentlichen zu wollen. Nadelfein, geradezu zeichenhaft umwehte uns beide dabei ein von den Wettergourmets sogenannter Sprühregen von Myriaden Tränchen, die, derart fein und leicht wie die Luft selbst, in der sie umherwirbelten, bloß mir durch die, wie gesagt: in Japan geschliffenen Gläser meiner neuen Brille, sichtbar gemacht wurden.

Im Café selbst dann versuchte ich mich abzulenken durch erneutes Umherblicken, doch ward dort, wie leider halt immer, eine Reihe von abscheulichen Gemälden an die dafür frei geglaubten Stellen der ansonsten ja zweifelsfrei sehr schönen Inneneinrichtung des Traditionscafés gehängt; es handelte sich um die kleinformatigen Leinwände einer Malerin namens Laura Arc, die dazu etliche Bilder von einer Pusteblume beigesteuert hatte, aber auch ein durch Bewegungsunschärfen eher unnötig dramatisiertes Porträt des »Disko Derwisch« ward angeboten (jeweils 80 Euro.)

Am Nebentisch des Belauschhimmels saß eine Frau, die halt so ausschaute, wie Frauen ihrer Ära auszuschauen haben, und hörte einem Mann zu, dessen Stimme ihr wie ein gemütlich knarrender Schaukelstuhl geworden war, den man geerbt hat, und von dem man bis dato nicht weiß, wohin damit. Er sagte: »Was hältst Du von Miller – als Vornamen?«

Da meine Gefährtin die ganze Zeit über schrieb dergestalt, dass sie vor allem mit einem magischen Papiere hantierte, auf dem, wie sie mir knapp beschieden hatte, sich »Die Formel« für ihr Online-Tagebuch in aufgeschriebener Form fände, versuchte ich mich von den mich vage bedrängenden Rivalitätsimpulsen abzulenken durch eine konzentrierte Lektüre der NZZ, wo im abseitig gehandhabten Buche Kunst und Literatur ein extrem langer Aufsatz von Peter Sloterdijk abgedruckt ward, den die Derwische aus Zürich mit Bildern gähnender Katzen illustriert hatten. Seiner Themenstellung »Zur Aktualität des Zynismus im 21. Jahrhundert« war der Karlsruher allerdings nur auf eine mich wenig befriedigende Weise, eine den Illustrationen hingegen perfide entsprechenden gefolgt: erst nach in etwa achthundert Zeilen verfing bei mir ein erster Satz: »Der Expansionismus der Kommunikationen bewirkt die Konvergenz von Medienpräsenz und Sein.«

Wie albern, sich abwenden zu wollen, bloß weil neben mir jemand schreibt! Zumal ich dann gleich wieder mit liebendem Auge registrieren konnte, dass sich meine alte Theorie, nämlich, dass Schreiben, bei minimal externer Aktivität, demnach maximal interner, extrem hungrig macht, im Augenblicke bewiesen sah, weil meine Gefährtin sich nach einer Platte mit Lachsbrötchen, mehreren Eierspeisen und immer wieder tassenweise Kaffee, gerade ein breites Stück der dort sogenannten Glückstorte hatte bringen lassen, aufs Kräftigste bestätigt sehen konnte. Auf ihrem Stücke war ein aus grün gefärbtem Marzipan gestanztes Kleeblatt aufgesetzt. Das meine hatte ein zwinkerndes Schwein.

In New York kommt, kaum hat man seine Tasse geleert schon die Kaffeehauskellnerin und fragt, ob sie die Rechnung bringen soll. Im bis auf weiteres konservativ Frankfurterischen Laumer kann der Schreibende vor seiner leeren Tasse schreibend (Roman!) noch so lange sitzen, wie es ihm beliebt. Ein Super-Size-My-Verweildauer, wie es sich in Berlin bereits durch die beständig größer werdenden Gefäße (Marrokkanischer Minztee, Ingwersud, Latte Macchiato) schon konstantieren lässt, findet hier bis dato nicht statt.