23.12.

Am Hauptbahnhof, dessen bis weit in die Kuppel hineinragender Weihnachtsbaum in diesem Jahr einen eigenen Hashtag hat (in der Anfangszeit des Hauptbahnhofes bestand die Attraktion des damals schon imposanten Baumes jahrelang in seiner Geschmücktheit mit den Glaskristallen von Swarovski), ließ sich zu meinen Füßen ein Star nieder, der sich auf das Aufpicken der vor dem panasiatischen Imbiss dort zu Boden gepurzelten Reiskörner spezialisiert zu haben schien. Seit neuestem gibt es dort auch einen würfelförmigen Container aus Pressholzplatten, der von der Deutschen Bahn an wechselnde Beitreiber sogenannter Pop-up-Konzepte verpachtet werden soll. Den Anfang macht, in der Weihnachtszeit, die Filiale einer Systemgastronomie, die sich auf Haferschleim mit diversen Toppings spezialisiert hat (die kleine Schale für 3 Euro 50, eine Banane zum Mitnehmen kostet 80 Cent). Der Haferschleim wird mit dem Attribut des Handgemachten beworben – was sich doch eigentlich von selbst verstünde: von Robotern gerührt would raise a brow. Aber dergleichen Gedanken verbat ich mir zwar nicht, erstickte aber deren Fortgang haferschleimhaft in ihrem Keim, da ich mir die vorweihnachtliche Stimmung nicht selbst noch verderben wollte durch ein galliges Denken, dessen ungestüm überschießende Variante ich am Morgen in einer unangenehmen, weil auf peinliche Weise als unnötig empfundenen Kolumne im Feuilleton hatte zur Kenntnis nehmen müssen. Dort war es um Locomore gegangen, beziehungsweise also gegen das mir sympathische Unternehmen einer zweiten Bahnstreckenbewirtschaftung auf der Strecke zwischen Stuttgart und Berlin et vice versa. Was es dagegen zu sagen gibt? Nun, nicht eben viel, aber das lässt sich verdünnen (absichtlich vermeide ich eine Konnotation zum handgecrafteten Pop-up-Schleim, um nicht in ein ähnliches Fahr»wasser« zu steuern, aber ziemlich ungefähr so). Nach einigem Hin und Her, vor allem aber Her, schloss der Verfasser dieser Zeilen mit seiner Prognose, dass die von ihm als alternativlos empfundene Deutsche Bahn und so weiter, beziehungsweise Locomore sowieso und genau bald schon wieder pleite gegangen und vorrüber sein wird wie ein Spuk. Unterzeichnet mit einem Kürzel, das mir nichts sagte. Seinen Ansichten zufolge handelte es sich dabei um einen entweder unendlich alten oder noch viel zu jungen Menschen. Was ihn zum Hass auf Locomore und vor allem auf Einhörner angestachelt haben könnte, blieb somit schleierhaft. Nachdenklich geworden, zerteilte ich beim Warten auf meinen ICE einen Apfel, warf, da es die Zeit der Barmherzigkeit war, einer dahergehüpften Taube ein Stück vom Kernhaus hin, dessen Samenkörner sie geschwind herauspickte, den Rest aber verschmähte und an der Bahnsteigkante liegen ließ.

Diese, die Bahnsteigkante, wurde am Bahnhof von Wolfsburg, wo man ja viel zu selten innehält, vom Künstler Daniel Buren, einem Franzosen, in ein Kunstwerk verwandelt. Man liest das zunächst auf einem Hinweisschild, dann sucht man etwas und schließlich konnte es gar nichts anderes sein, als dass die weißen Streifen, die, diagonal zum Verlauf der Bahnsteigkante gesetzt, dort auf ganzer Länge des Bahnsteiges verliefen, also dass sie es waren, die aus dem Bahnsteig nun einen Träger oder auch schon einen Teil des Kunstwerkes Daniel Burens gemacht hatten. Im weihnachtlich geschmückten Fensterchen des Bahnaufsichtsgebäudes klebte ein Fahndungsplakat in Din A5 auf dem der Attentäter auf den Weihnachtsmarkt von Berlin gesucht wurde. 100.000 Euro Belohnung für Hinweise. Zwei Sternchen, zwei Disclaimer. Mit in diese Collage hinein war erschienen das blau leuchtende Symbol der Volkswagenwerke. Die drei Schornsteine waren rötlich angestrahlt über dem schwarzen Wasser des Mittellandkanals.

Ich war wider Willens in Wolfsburg gestrandet, wie es heißt, da mein Zug von Berlin nach Hannover in kurzer Zeit bereits so viel an Verspätung akkumuliert hatte, dass es dem Zugchef als zu riskant erschienen war, noch den Anschlusszug von Hannover aus erreichen zu wollen. Damit war meine Platzreservierung für die Weiterfahrt perdu. Immerhin aber, so hieß mich der Zugchef des in Wolfsburg einlaufenden ICE nach Basel willkommen, würde ich nun überhaupt mein gebuchtes Ziel noch erreichen. Außer mir waren nun allerdings noch viele, viele andere Umsteiger wider Willens an Bord und es hob sich der Vorhang sozusagen über einem Tanztheater, das allweihnachtlich auf den südwärts führenden Strecken in engen Röhren aus Blech seine Aufführung findet, während die Bühne selbst mit bis zu 230 Kilometern pro Stunde durch Deutschland rast. Im Stehen, die Hoffnung auf einen der Sitzplätze am Boden hatte ich aufgegeben, lauschte ich der Musik aus meinen Kopfhörern, Carrot Rope von Pavement, die mir die Szenerie mehr als angemessen, geradezu vorteilhaft zu untermalen schien und tat. Und schon nach wenigen Stunden lief unser train of fools in den heiligen Hallen des Frankfurter Bahnhofs ein. Draußen war es beinahe Nacht.

Noch wurden die Hochhäuser im Nebel des herrlich milden Klimas verborgen.