23.3.

Um die übliche Zeit aufgewacht, Stunde der Amsel, Zeit des grauen Lichts, und dann nach der Arbeit tatsächlich Sehnsucht verspürt, bei Markus Kaffee zu trinken. 45 Minuten in der S-Bahn, dann zehn Minuten den Hügel empor gestürmt, und ich war exakt zum Glockenläuten da, die Tür war schon offen: acht Uhr am Morgen, und aus der abgesenkt gelegenen Küche schaut zufällig Frank mir entgegen - »Ja, hallo!«, dann streckt auch Markus seinen Kopf ins Sichtfenster, es ist so, dass mir die Tränen kommen, aber das darf jetzt nicht sein, denn es war ja schließlich meine Entscheidung, aufs Land zu ziehen und von daher auch weit weg von Markusens Einflussbereich, aber es tut gerade sehr gut, mal wieder in der Stadt zu sein. Und der Kaffee ist so hervorragend, wie ich ihn in Erinnerung behalten hatte.

»Sag, hast du meine weißen Hosen noch und die 80 Schachteln Streichhölzer mit dem Aufdruck von Ronja von Rönnes Romantitelbild, die ich bei euch vergessen habe?«

»Klar«, sagt Markus und dann bringt er das alles aus diesem unergründlichen Backstage, das es in seinem Betoncafé eben auch noch gibt und es fehlt zwar eine Hose, aber Katharina, die später dazukommt, ist sich sicher, dass die noch irgendwo bei ihnen zu Hause rumliegt und dann hole ich die eben ein andermal ab, wenn ich wieder in der Stadt sein werde. (Und ich schenke Katharina 75 Schachteln Streichhölzer für ihr Geschäft und behalte selbst fünf als Souvenir).

In der Stadt.

Und dann kommt Anne und wir reden ganz kurz übers Geschäftliche und dann fragt sie nach der Natur meiner Anreise, ich sage: »Kaffee, ich hab doch bloß Nespresso zu Hause«, aber natürlich hat sie Recht: Es ist vor allem eine Art von Liebesbeweis für Markus. Und sie gibt mir einen USB-Stick und sagt: »Schau dir doch beizeiten mal bitte mal diesen irre tollen Film an, ich verstehe den nicht ganz.« Und ich schaue ihn mir später an, aber ich verstehe auch nicht, worum es dem Regisseur bei diesem Film gegangen sein mag, obwohl er, dieser sein Film also, The Lobster heißt. Vermutlich wäre das exakt gleiche Drehbuch mit exakt diesen Darstellern von Wes Anderson verfilmt ziemlich gut. Ziemlich wahrscheinlich sogar.

Ich kann mir keinen Kuss vorstellen, der lang genug ausgeführt wird, oder innerhalb seiner Dauer intensiv genug empfunden, um tatsächlich das transportieren oder injizieren zu können, was sich der Küssende gewünscht hat. Ein Liebesbeweis kann doch nur eine Gedächtnisstütze bleiben, er wird aussagen: Schau, mehr bleibt mir nicht an Mitteln, um dir, meiner Geliebten, meinem Geliebten, andeuten zu können, was du mir bedeutest vor dem Hintergrund der faktischen Welt. Dies alles, gleich wie angenehm oder verführerisch, gleichwohl wie schön oder wie glitschig, wie hinreißend, soll auf der Matrix der Liebe, die in Wahrheit unendlich sich nach allen Dimensionen hin sich ausdehnen sollte, winzlingshaft, geradezu unbeholfen wirken. Auf dieser Matrix sollten wir beide als unbedeutende Punkte erscheinen. Derart winzig, von daher so eng beieinander, dass wir aus der Perspektive der Matrix, also aus Liebe heraus betrachtet, erscheinen werden als ein einziger Punkt