23.7.2020

Der nächste Halt wird Berlin Hauptbahnhof sein, in Spandau ist schon ein Bettler zugestiegen. Genau genommen: ein Blinder Passagier, der sehenden Auges durch den Waggon der Ersten Klasse geht, sein Zeitüngchen feil bietend, schwankend, das letzte Exemplar. Der Zug schwankt, der Bettler geht. Draußen vor dem Fenster fährt gleichauf eine S-Bahn ein in den Bahnhof. Die Passagiere tragen Masken.
Am Savignyplatz wirkt alles leer, wie verlassen. Die Autorenbuchhandlung verweist schriftlich auf ihren Online-Shop. Schulferien, dazu noch Corona. Der Zwiebelfisch ist ausgebrannt. In der Glastür hängt ein Zettel vor einem Hintergrund eiskalt gekachelter Leere: «Wir sind zum Betteln nicht geboren. Aber Corona und Brandstiftung ist zuviel.»
Ansonsten ist alles wie immer, überall dort, wo der Boden nicht aufgerissen war, ist er jetzt aufgerissen. Wo er einst aufgerissen war, ist er jetzt wieder zu.
In der Suarezstraße, sollte man annehmen dürfen, sitzen ja eigentlich diejenigen, die mehr gesehen haben als alle anderen. Nichts von den Zeiten, Epochen, an Stilen und Wirrungen, Verirrungen ist diesen Trödlern des Westens noch fremd. «Aber sowas: haben selbst wir noch nicht gesehen.»
Steifensandstraße, Ecke Witzleben, Roman.