23.9.

Gestern früh, ich ging die Gormannstraße bergan, lag zwischen zwei am Rand geparkten Autos ein Blatt von einem Gummibaum. Seltsam. Ohne hochzusehen, ward’ dieses Blatt unwillkürlich als eines von einer Zimmerpflanze registriert. So, als hätte ich alle möglichen Blätter aller in dieser Gegend möglichen Bäume gespeichert, um ohne Ansehen der umliegenden Bäume feststellen zu können: Ah, ein exotisches Blatt, das nicht von einem der Bäume hier auf dem Garnisonsfriedhof stammt. Und trotzdem, auch wenn von vorneherein klar zu sein schien, dass dies Blatt nicht von einem Baum dort hinter der Friedhofsmauer gefallen war, ergab sich auch trotz seiner glänzend dunkelgrünen Farbe auf dem Asphalt gleichsam unwillkürlich ein Bild, das sagte: Herbst.

Schon am Sonntag, als ich mit meinem Besucher Joachim Lottmann am Wahlabend vor die Tür getreten war, um ihn zu verabschieden, hatte er mich am Ärmel berührt, um, nachdem er so um meine Aufmerksamkeit gebeten hatte, mit der Nasenspitze in Richtung der Bäume zu weisen. Ja, sagte ich. Ich rieche es auch. Ihn. Es riecht nach Herbst. Das ist er.

Kastanien als Vorboten. Eicheln und Bucheckern. Zehn Tage später, elf, spätestens nach zwei Wochen setzt die Blattfärbung ein. Wenn nun erst sämtliche Kakteen sämtliche ihrer Stacheln fallen ließen wie Weihnachtsbäume an Dreikönig – nicht auszudenken, die daraus sich ergebenden Zustände (die Fensterbänke der Schaufenster von Läden und Cafés von Mitte bis Neukölln würden zu Nadelkissen). Seit wann gibt es Trendpflanzen? Im Zuge jenes Phänomens, das ich, eingedenk des einzigen Solo-Hits des Schlagzeugers der Gruppe Spliff, als Herwigmittereggerianisierung im Journalismus bezeichnen will, »immer mehr hm, hm, hm«, wird auf den Wohnseiten und in den Stilteilen auch über den Trend zur Kaktee, zur Monstera, zum Ficus, zum Philodendron und zur Taro, zum – ich glaube, mit ihm fing es an, durch intensives Featuren im Wallpaper Magazine: Bogenhanf. Die exotische Pflanze, skulptural von ihrem Erscheinungsbild, wie eine Skulptur auch pflegeleicht, sie braucht nur gegossen und manchmal abgestaubt zu werden. Eine Pflanze wie die Monstera, wie ein Asparagus oder eben eine Kaktee, die ein grünes Ornament beisteuert zum Ensemble aus dänischen Mid-Century-Möbeln und -Lampen. Blätter einer Pflanze wie auf einem Druck von Matisse. Immergrüne Pflanzen. Ich kenne niemanden, der einen Bonsai besitzt. Einen Ahorn beispielsweise, mit winzlingshaft fingrigen Blättern, die sich im Herbst bananengelb und karminrot einfärben. Vor dem Fenster wären Eiben und drinnen dann Herbst.

Die Vögel jedenfalls drehen nun noch einmal ganz anders auf als im Frühjahr, als ich hierher gezogen bin. Bei Sonnenaufgang versammeln sie sich in den Bäumen hinter dem Laub und zwitschern durcheinander, als ob es um etwas ginge. Auf dem Nachbargrundstück gibt es einen, der seinen eintönigen Pfiff von weit unten herholt und dann in einem elastischen Bogen bis in den Himmel hinaufzieht. Ich habe keine Ahnung, worum es jetzt gerade geht, was der Vogelkalender zu feiern befiehlt. Ob sie sich bereits sammeln (W-Punkt K-Punkt) oder ob es der letzte Konvent ist, bevor sich die Schlafbäume selbst entkleiden. On verra.