24.2.
Der Aufbau-Verlag wird immer geiler. Wenn das so weitergeht, kann nicht einmal mehr ich selbst mir vorstellen, wo das noch hinführen wird. Nachdem sich Silke Ohlenforst wochenlang schlicht weigerte, mir die sogenannten Fahnen des Buchs von Ronja von Rönne zu überlassen, konnte ich sie gestern dann endlich erfolgreich beknien. »Schicken Sie mir den Text doch über Snapchat«, war mein letztes Angebot gewesen, woraufhin sie einfach bloß schallend lachte und mittendrin auflegte. Das PDF sandte sie mir dann im Anschluss per Mail.
Ich fing, noch während sich der Drucker die Seiten aus seinen klotzigen Eingeweiden schälte, mit dem Lesen an. Wir kommen wird dieses Buch sein, vor dem ich seine Leser schon immer gewarnt habe. Ein Text, der so ist wie mein iPad Pro: also ein Panzer aus purem Gold und oben saphirverglast, aber ohne Touch-Option. Von seinen Dimensionen her so breit wie die Champs Elysees. Dabei selbst vollkommen still, wobei diese von ihm ausgehende Stille an sich schon wieder ein Geräusch produziert, nämlich die Abwesenheit jeglichen Geräusches, die dann für sich genommen irre laut zu werden droht, wie Masturbation unter Wasser - was ja auch nicht alle mögen, weil das muss man mögen können -, sodass man es manchmal kaum aus- und sich während des Lesens verrückterweise die Ohren zuhält. Das hat übrigens Ernest Hemingway auch mal über einen seiner Romane gesagt. Hemingway mag ich nicht, den Fänger im Roggen habe ich auch nicht gelesen, aber wenn ich von einem Buch reden will, das unter Gleichaltrigen von Furor bis Stupor so ziemlich alles auslösen können wird, was so geht bei den Vorgängen von Gehirn zu Gehirn, und das allein schlicht aufgrund seiner Power, dann geht es unter Ultrawertkonservativen halt immer auch um diese zwei household names.
Nun also Ronja von Rönne. Der goldene Panzer macht von sich aus übrigens gar nichts, er bleibt einfach nur in einer scheinbar ungefährlichen Entfernung vor einem stehen und löst dadurch ein subkutanes Blinken aus. Ich schaute nach ein paar Seiten bereits an meinem Körper herauf und herunter und alles wummerte in einem dumpfen, durch die Schichten von Haut und Gewebe gedämpften Licht.
Was sagte E.T.?
E.T. wollte nach Hause.
Mittendrin werden Telefone zerstört und Computer. Man muss gar nicht Ton Steine Scherben gehört haben, um diese Szene einfach nur abartig geil zu finden, insbesondere, weil gleich darauf etwas passiert, was seit einigen Monaten eine meiner Megaängste beschreibt, aber ich darf es nicht zitieren, das habe ich Frau Ohlenforst versprochen und ich pflege meine Versprechen allesamt einzuhalten. Im Zweifelsfall gebe ich sie nämlich gar nicht erst ab.
So also zur Sprache und zum Stil dieses Buches, ich schreibe in voller Absicht nicht: Ronja von Rönnes, denn diese Schriftstellerin wird noch andere Bücher in ganz anderen Stilen und Sprachen abliefern, dafür stehe ich mit meinem guten Namen sehr gerne ein. In Wir kommen aber ist es so, dass ich mich direkt angeschlossen fühle an den Prozess des Schreibens selbst, der ja, wenn es gut werden soll, ein ultramegagigaschmerzhafter ist. Es ist eindeutig kein Text, dem eine Ruhepause des sogenannten Liegenlassens gegönnt wurde und genau das, also das Unorthodoxe, macht ihn so geil. Klar wäre Ronja von Rönne sowohl in Leipzig als auch in Hildesheim mit Karacho durch sämtliche Prüfungen zur staatlich geprüften Diplomschriftstellerin gerasselt, aber würde ich mich mit Schreibvermittlung beschäftigen wollen, von mir bekäme sie eine 1+ mit drei Pumuckl-Stempeln. Das wird wichtig gewesen sein, weshalb sich dieser Roman – und es ist endlich mal wieder einer! –, verkaufen wird wie belgische Fritten.
Romane, ganz einfach die Formel, erkennt man daran, dass die darin innerlich verbrachte Zeit ganz anders zu vergehen scheint. Und dass bei der Lektüre Tränen fließen. Handlung interessiert mich nicht, ja es ist so, dass mir Bücher mit Handlung suspekt erscheinen und ich habe dann als Protestant auch immer das Gefühl, man verschwendet meine Zeit. Denn mir ist ja nicht langweilig. Ich will etwas lernen. Je weniger Handlung also, die mich von den Gedanken des Schreibenden abhalten könnte, umso besser fühle ich mich erkannt. In diesem Buch wurde ich angeschlossen an mein persönliches Drama wie bei Zwangsernährung; wer auch immer von einem süßen Vogel gesprochen haben mag, den die sogenannte Jugend bedeutet, der konnte niemand anders gewesen sein als mein heimlicher Feind. Wie schlimm das ist, wenn man nicht weiß, wo oben und wo unten ist, wenn es – vor allem unabsehbar – weit rauf geht und genauso tief runter: Dieses endlos scheußliche Gefühl kommt direkt zurück in den Zeilen, die wie die Pfeile sind, derentwegen der Heilige Sebastian so verzückt aus seiner nicht vorhandenen Wäsche schaut. Alles wird ausprobiert, nichts davon macht glücklich und wenn Sylvia Plath nicht schon tot wäre, dann hätte sie auf der Rückseite einer Seite aus dem Lexikon über Hummeln einen Brief an Ronja von Rönne geschrieben und darin stünde: »Bravo, gut gemacht.«
Die meisten aktuell publizierten Frauenfiguren haben ja leider so etwas leicht Brötchenhaftes. Ronja von Rönne schreibt über eine Frau, die ist wie ein Bagel. Zum Bagel gehört das Loch in der Mitte, es ist sozusagen Teil seiner Natur. Der Käufer des Bagels liebt dieses Loch, obwohl es ihm nichts bringt, dem Bagel aber auch nicht. Der Bagel, wenn er sich das hätte wünschen können, wäre s o gerne ohne dies Loch aus dem Ofen gekommen. Wer kann schon damit leben und dabei noch glücklich werden mit dieser Wunde, mit diesem Loch, mit diesem Symbol des Unstillbaren und des nicht wieder gut zu machenden Mangels mitten in sich drin?
Symbolisch wäre ein Bagel sehr schön, dessen Loch nicht rund, sondern herzförmig sein dürfte. Weil Liebe füllt diesen Mangel halt aus. Ist aber schwierig zu finden.
Darum allein geht es in Wir kommen.