26.6.2020

Weil das Naturbad Eberdingen, in dem ich noch in der Jugend oft die herrlichste Zeit, im Schatten dort, bei Senfbroten, verbracht, geschlossen bleiben sollte, und in den wenigen Freibädern von Stuttgart man ausschliesslich zu im Vorhinein reservierten Zeiten «nur in eine Richtung» schwimmen durfte, führte ich Friederike über den Heusteig durch den Wald hinunter in das stille Tal, wo sich das Strudelbächle windet, an dessen schattenreichster Stelle mir einst, vor vielleicht vierzig Jahren, ein winzig kleiner Stichling in meinen kaum viel größeren Kescher schwamm. Hier netzte sie sich ihre Füße. Und gleich neben ihr hatte sich eine Prachtlibelle niedergelassen, bald noch eine. Die Tiere, das fanden wir vor Ort heraus, waren extrem selten geworden. Angeblich bloß noch dort zu finden, wo Gewässer von naturreiner Klarheit fließen. Das Tal sonst freilich auch überhaupt kein bisschenmehr still; nicht einmal mehr phasenweise, weil hier die arbeitende Bevölkerung dicht an dicht die Motoren ihrer Sportwagen hochjazzt (zu meines Vaters Zeiten arbeiteten 800 im nahen Entwicklungszentrum von Porsche, heute sind es mehr als 7000). Als in meinen Jugendjahren das von seinem Konzept her neuartige Lokal Palast der Republik eröffnet wurde, schrieb die Stuttgarter Zeitung von «Bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Lautenschlagerstraße». Dazu hatten sie ein Foto von den Gästen, die, weil es nicht ausreichend Stühle gab, den Caipirinha auf dem Trottoir sitzend schlürften.
Abends erzählte meine Mutter, was mir neu war, vielleicht hatte ich es bloß vergessen, wie ihr Englischlehrer sie einst ausgefragt hatte, weil er in ihren englischen Sätzen einen Hauch vom sogenannten Slang vernommen hatte. Er wollte herausfinden, ob sie sich mit einem Besatzungssoldaten angefreundet hatte. Seinem Empfinden nach musste es sogar ein Schwarzer sein? So fein war sein Gehör für fremde Klänge ausgebildet. Es war aber bloß Radio gewesen, das die Aussprache meiner Mutter getuned hatte: Armed Forces Network. Mutter des Pop.
Warhol hat auch einen Film über seine Mutter gemacht, in dem seine tatsächliche Mutter Julia eine fiktive Mutterfigur verkörpert, weil ihm das Bild seiner Mutter, das durch einen Dokumentarfilm über Julia Warhola verbreitet werden sollte, nicht gefiel.